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Ö1 Inforadio, 1. Oktober 2008

Mozarts "Entführung" in St. Pölten

Unter die bekannten Melodien von Mozarts "Entführung aus dem Serail" mischen sich bald irritierende Percussionklänge und freie Improvisationen durch die Musiker des Freiburger Barockorchesters. Die Figuren der Oper werden gleichsam gespiegelt und jeweils von Sängern und Tänzern dargestellt, und alle gesprochenen Texte sind dem von einer Schauspielerin verkörperten Bassa Selim zugeordnet.

Joachim Schloemer hat das Thema Entführung als zeitgemäße politische Realität ernst genommen und die Beziehung zwischen Entführern und Entführten, das Spiel von Macht und Abhängigkeit hinterfragt. Die Spaltung der Charaktere in Stimme und Bewegung entspricht den Erfahrungen von Entführungsopfern wie Jan Philipp Reemtsma, der das Auseinanderdriften von Körper und Ich eindringlich beschrieben hat.

Durchwegs schwarz gekleidet und äußerlich einander angeglichen, agieren die jeweils gespiegelten Figuren in einem Labyrinth aus Archivkästen, die sich einmal als wassergefüllte Tanks, dann wieder als prall gefüllte Bücherschränke entpuppen. Bassa Selim, maskiert und androgyn, überwacht mit kühler wissenschaftlicher Distanziertheit diese "Experimente der Seele", denen die Protagonisten unterzogen werden.

Milde und Gnade als versöhnlicher Schluss haben in Joachim Schloemers Interpretation ebenso wenig Platz wie eine erotische Beziehung zwischen Konstanze und dem Bassa. Hier geht es um Macht und um die Entführung als Mittel der Kriegsführung.

Am Ende scheinen Sänger und Tänzer wieder zu einer Person zu verschmelzen, doch zurück bleibt mehr Ratlosigkeit als Erleichterung. Eine interessante, zeitgemäße Interpretation, die bei der Premiere in Luzern begeisterte Zustimmung geerntet hat.

[Audiofassung]

Maria Rennhofer