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Badische Zeitung, 16. September 2008

Mozart und die graue Maus
Eine Freiburg-Luzerner Koproduktion: Joachim Schloemers „Entführung aus dem Serail“

Der erste Eindruck – Holocaustmahnmal. Wie Peter Eisenmans Stelen des Denkmals für die ermordeten Juden Europas in Berlin stehen die zwölf kubischen Spindschränke auf Jens Kilians Bühne angeordnet, durch Verspiegelung zur Bühnenrückseite und zur Decke scheinbar multipliziert. Ein Labyrinth, ein Gefängnis: dunkel, ungemütlich, bedrohlich. A place of no meaning – ähnlich bedeutungslos, wie Eisenman seinen Raum charakterisiert hat?

Joachim Schloemer, Chef des Freiburg-Heidelberger Tanztheaters pvc und in diesem Jahr artiste étoile beim Lucerne Festival gereicht diese Szenerie als räumliche Metapher für seine Lesart von Mozarts „Entführung aus dem Serail“. Möglich, dass die Holocaustmahnmal-Konnotation eine eher zufällige ist, vielleicht auch nicht; Schloemer selbst hat wiederholt betont, dass ihn bei dieser seiner choreographierten-inszenierten „Entführung“ gerade dieser Aspekt interessiert – eben der der Ausnahmesituation. Das ist ebenso interessant wie mutig, denn bei allen Interpretationen, die man diesem Singspiel widerfahren lassen kann, scheint es eben doch jene zu sein, die den Komponisten selbst am wenigsten interessiert hat. Bei Mozart obsiegt die Liebe über alle Abgründe, und nicht von ungefähr ist sein Belmonte, der die Freiheit seiner geliebten Konstanze sogar mit dem eigenen Leben bezahlen würde, einer der ersten modernen – von der Aufklärung wie vom Individualismus gleichermaßen geprägten – Helden auf der Opernbühne.

Darüber sagt uns diese Gemeinschaftsproduktion des Lucerne Festivalsmit dem Theater Freiburg, dem Freiburger Barockorchester und dem Festspielhaus St. Pölten an ihrem Premierenabend in Luzern herzlich wenig. Was wir sehen, sind die fünf singenden Hauptakteure, denen Schloemer fünf tanzende Doppelgänger zur Seite stellt [...] und ein ebenso omnipotenter wie androgyner Bassa Selim – die einzige reine Sprechrolle dieses Opus’. Also lässt Schloemer den Bassa alias Marianne Hamre gleich alle Dialoge sprechen [...] eine Figur, die viele Züge trägt – Domina, Macho, Terrorist, und am Ende Gouvernante und vor allem graue Maus. So wie Fanatiker sind, wenn sie ihrer Macht entzaubert werden.

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Alexander Dick