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APA, 3. August 2006

Poetisch und expressiv - "Irrfahrten" durch die Seelenlandschaft
Schloemers zweiter Teil der Mozartopern-Trilogie - Bühnentechnisch raffiniertes Pasticcio aus musikalischen Einzelteilen

Am Anfang war Ratlosigkeit und ein Stück, das keines war. Nach und nach aber erschloss sich eine poetische-abstrakte Dimension nach der anderen, und der zweite Teil von Joachim Schloemers Mozartopern-Trilogie "Irrfahrten" begann, zu einer Reise durch eine surreale Seelenlandschaft zu verführen. Unter dem Titel "Abendempfindung" bauten Schloemer und seine Dramaturgin Bettina Auer ein sinnliches und - wenn man will - ein gedankenschwangeres Pasticcio aus nicht zusammenhängenden musikalischen Einzelstücken zusammen. Schloemer hat modernes Theater "an Mozart" versucht. Damit hat er sein Publikum, gestern, Mittwoch, bei der Uraufführung im Hof der alten Residenz verunsichert, aber vielfach auch berührt.
"Abendempfindung an Laura" (KV 523) oder Fragment einer Fantasie (KV 396) steht in der Werkliste dieses Abends, dann wieder ein Satz aus der Symphonie in a (KV 216), einige Kanons, Arien und Lieder. Und nicht zuletzt die Rondos, Adagios und Fantasias für Glasharmonika - klanglich im Zentrum dieser Performance und zugleich Sinn gebend für die Farben und Stimmungen dieses Experimentes. Schloemer und Auer erzählten eine Geschichte in stummen, manchmal wortlosen Bildern, gelegentlich turbulenten Sprach-Vermischungen aus Briefen Mozarts und bühnentechnisch aufwändigen, aber meist der Sache dienenden Raffinessen -beklemmend, poetisch und expressiv.
Salzburg ist eng, zu eng für Mozart. Drei Genres - verkörpert von einer Schauspielerin (Marianne Hamre), einer Sängerin (Ann Murray) und einem Tänzer (Graham Smith) -beleuchten die permanenten, destruktiven und erst nur geträumten Ausbruchsversuche. Im High-Tech-Spiegel verselbstständigt sich das reflektierte Ich und verlässt, vom Betrachter unabhängig, die Glasfläche. Geld, immer wieder Geld flattert durch dieses voll gestopfte Niemandsland, und Pistolen reißen das fein gesponnene Nichts aus seiner Beschaulichkeit. "Wenn der Himmel keine Gnade kennt, dann geh ich fort, aber wohin", so geht eine Textstelle bei Mozart, und Schloemer nimmt ihn wörtlich.
Wie die Realität und der Wahn, so vermischen sich auch die Menschen in diesem Stück mit den Video-Projektionen von fettFilm und turnen, tanzen, singen, spielen, reden und schießen sich durch diese visualisierte Traumlandschaft. Eine der emotionalen Schlüsselszenen: ein ausgeklügeltes und wunderschön barockes Versteckspiel im Hochglanz-Design, bei dem ein James-Bond-Filmvorspann ästhetisch Pate gestanden haben dürfte.
Nicht alle Bilder, die Bühnenbildner Jens Kilian entwirft, geben ihren Sinn preis, der Swimming-Pool mit Unterwasserkamera aber schon. Dort paddelt der Flüchtling herum, sportlich-stupid spult er seine Längen ab und verbraucht sich, wie das berüchtigte Garn. Aber am Ende zerbirst der Spiegel ohne Scherben, und eine neue Lebensperspektive
scheint in Sicht. [...]

Christoph Lindenbauer/APA