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Die Südostschweiz, 17. Juli 2008

Mit Bachs Suiten durch Manns Schneesturm
Joachim Schloemer ist einer der Gastkünstler des Lucerne Festivals. Am Freitag stand der Choreograf und Regisseur erstmals im Zentrum mit der Uraufführung von «in schnee» zu Bachs Suiten für Cello solo.

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Joachim Schloemer nun hat neben Bachs Cello-Bibel ein weiteres Kultur-Heiligtum als Inspirationsquelle herangezogen: Thomas Manns «Zauberberg» und daraus den berühmten Schneesturm, in dem die Hauptfigur Hans Castorp sich im Gebirge verirrt und in Fantasien, Halluzinationen und Träume abgleitet. Darauf bezieht sich der Titel «in schnee». Auch die Inszenierung schwelgt in Schnee-Chiffren, vom filmischen Flug über den zerklüfteten Gletscher über das Rauschen des senderlosen Fernsehers bis zu den weissen Bodentafeln, die bei dieser Reise ins Innere sukzessive aufgebrochen werden.

Da kann man auch nicht mehr tanzen: Die Figuren um den Protagonisten herum, die zu Beginn als glut- und blutvoll reale Wesen, als Freunde, Rivalen oder handfeste erotische Erlebnisse erscheinen, werden Fantasien, Schemen, Projektionen, bis sie am Ende nur noch als zweidimensionale Kartonfiguren auf der Bühne stehen. Während der letzten beiden Suiten befinden wir uns nur noch im Innenleben des Protagonisten.

Das bis dahin für Spannung sorgende Element der athletischen tänzerischen Bewegung fällt weg. Worthülsen und Pappkameraden bleiben, Konzentration und Abstraktion führen ganz auf die Musik zurück, und die ist stark genug. Auch deshalb, weil die drei Cellisten Sebastian Diezig, David Pia und Mattia Zappa jeder auf seine Weise und in seinem Idiom an die herausfordernde Arbeit gehen und jeder diese Gipfelwerke mit viel Stilgefühl und musikalischer Ausdrucksfähigkeit meistert.

[...] in der Körpersprache der sechs Tänzer und Tänzerinnen verzichtete er auf Verdoppelungen der barocken rhythmischen Muster und kontrastierte sie mit seiner ganz eigenen choreografischen Ausdrucksweise. Tanz, der sich nicht an die Musik hält, sondern sie kontrastiert oder auch einfach links liegen lässt. Erstaunlich, wie gut das funktioniert!

Reinmar Wagner