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Die Presse, 3 August 2006

Amourett'ln und G'spassett'ln
Salzburg: "Irrfahrten". Auftakt zu Joachim Schloemers Projekt mit "Finta semplice".

Der Liebe hat er zynisch abgeschworen - und zürnt, weil man ihm seinen geliebten Ring abluchsen konnte: Nein, wir befinden uns nicht in Bayreuth, sondern im Hof der Salzburger Residenz. Mozarts frühe Buffa "La finta semplice" geht über die Bühne, als erster Abend der Trilogie "Irrfahrten", choreografiert und inszeniert von Joachim Schloemer. Der Ring ist bloß ein Liebespfand, denn um erfüllte, unerfüllte, bekämpfte und vorgetäuschte Zuneigung geht es in dem nach Goldoni verfassten Libretto von der "verstellten Einfalt".

[...] Wie der Zwölfjährige (vor oder während der Pubertät) ein solches Buch überhaupt hatte adäquat komponieren können, fragte sich Schloemer - und inszenierte kurzerhand auch den Jahre währenden Reifungsprozess des Wolfgang Amadé, indem er den Abend vom Schematischen zum Individuellen hin entwickelt.

Dabei reicht Mozarts Ausdruckspalette bereits hier von der bloßen Nachahmung bekannter Buffa-Topoi über geschickte Anverwandlung bis hin zum ganz persönlichen Tonfall. Etliche Finessen machen hellhörig: reiche Mittelstimmen etwa durch geteilte Bratschen, eine betörende Echo-Arie mit Solo-Oboe und Englischhörnern, tragisches c-Moll-Pathos ("Che scompiglio"), die zauberhafte "Amoretti"-Beschwörung und mehr. Bei diesem Reichtum kann es schon vorkommen, dass eine besonders witzige Szene wie ein Regieeingriff wirkt, in Wahrheit aber ganz so, nämlich als "Pantomima", in der Partitur steht: Cassandro (Josef Wagner als gockelhafter Prolo-Pascha) zeigt Rosina (persönlichkeitsstark und stimmlich wendig: Malin Hartelius) durch Gebärden an, dass er sie gern ins Bett bekäme - und macht sich dabei zum Deppen, weil sie bewusst mit Nonsense-Gesten antwortet. Köstlich, wie da die (Körper-)Sprachebenen keine Berührung finden - genau wie die vier großen weißen rechtwinkligen Dreiecke, die von den Seiten mit je einer Spitze in die Mitte weisen und der zentralen Spielfläche zwei dynamische Schrägen hinzufügen. Auf denen wird gerannt, geklettert, gerutscht, gerollt: die Liebe, ein glattes Parkett.

Alles ist zunächst in klinischem Weiß gehalten (Ausstattung: Jens Kilian) - erst im Lauf des Abends kommen immer mehr knallrote Elemente hinzu und beginnen die Buffa-Typen zu individualisieren. Das Eigenleben des Personals, es wächst zuletzt auch der "Auctoritas" genannten Figur über den Kopf, die Schloemer als Mittlerinstanz einsetzt: Marianne Hamre wetzt in gelbem Trainingsanzug über die Bühne, stellt die Personen vor und erklärt die Handlung. Die meisten Secco-Rezitative sind daher gestrichen - ein guter Tausch, der dem Publikum, garniert mit ein paar Pointen, das Geschehen unmittelbar begreiflich macht. Und auch die Modernisierung weiterer Komödien-Elemente stößt auf lachende Gegenliebe - etwa in den comicartigen Einblendungen, mit denen "fettFilm" das dramatisch auskomponierte Duell illustriert, zu dem der aufbrausende Fracasso (Jeremy Ovenden) Cassandro fordert. Doch alles wird gut. Ausgerechnet der liebenswerte Jammerlappen Polidoro (Matthias Klink) soll zuletzt laut Libretto als Einziger allein bleiben? Nein: Er findet in Auctoritas seine bessere Hälfte.

Die Szene fand ihre im musikalischen Teil des Abends: Miljenko Turk (Simone), Marina Comparato (Giacinta) und Silvia Moi (Ninetta) ergänzen das homogene Ensemble, und Michael Hofstetter realisierte mit der Camerata Salzburg nervig-gespannten, lebendig artikulierten Mozart voller Verve und Ausdruckskraft. Ein Vergnügen.

Walter Weidringer