- 7. Mai 2003
Falter
Die Lust am Lärm - 11. Mai 2003
Der Kurier
"Variationen des Sterbens" - 17. Mai 2003
Der Standard
Die Vertonung der Gewalt - 20. Mai 2003
Der Standard
Klangpfade zu historischen Räumen der Gewalt - 20. Mai 2003
Wiener Zeitung
Wenn Stimmakrobaten auf verlorenem Posten stehen - 20. Mai 2003
Die Welt
Schwarze Messe, Menschengemetzel - 20. Mai 2003
Neue Zürcher Zeitung
Kein Entrinnen - 20. Mai 2003
Der Kurier
Eine Oper als beklemmender Totentanz - 21. Mai 2003
Frankfurter Rundschau
Geräusche der Blutsäufer
Die Welt, 20. Mai 2003
Schwarze Messe, Menschengemetzel
Naturgemäß ist die Bartholomäusnacht von anno 1572 keine anämische Angelegenheit. Das Abschlachten der Hugenotten durch die Katholiken schuf sogar einen neuen Begriff: Massaker hieß ursprünglich im Französischen der Hackstock des Fleischhauers. Der Tiroler Komponist Wolfgang Mitterer, ein Allroundmusiker von Format, hat das blutige Thema in Christopher Marlowes Bearbeitung aufgegriffen. Sein 90-Minuten-Stück "massacre" ist die einzige Opernuraufführung der diesjährigen Wiener Festwochen. Für ideale Umsetzung im Etablissement Ronacher sorgt Joachim Schloemers Inszenierung im magisch kargen Raum von Katrin Brack. Sieben Stelen als monumentale Kerzen, sonst bleibt die Bühne leer. Denn hier wird eine Schwarze Messe gefeiert, mit Anklängen an Pasolinis "Saln" und den Aktionismus eines Günter Brus.
Schloemer weiß, dass man auf dem Theater Schreckensszenen durch optische Verdopplung banalisiert. Da hilft bloß strenge Metaphorisierung. Auf dem Umweg des Indirekten zeigt sie die Rituale der Grausamkeit, enthüllt Macht- und Vernichtungswahn. Als auch der Herzog von Guise (bedrohlich fanatisch gesungen von Georg Nigl) ermordet wird, der Hauptverantwortliche des Blutbads, streichen ihn die Schergen vor weißem Hintergrund weiß. Seine Gestalt verschwindet im Nichts.
Wolfgang Mitterers Musik hat beträchtliche Sogwirkung. Wir sehen gleichsam mit den Ohren ein Schlachtengemälde. Mitterer ist ein Geräuschkulissenvirtuose, selbst die höchste, schrillste Stimmlage (Katia Plaschkas Duchesse könnte mühelos Glas zersingen) klingt nie kreischend, sondern geht präzise durch Mark und Bein. Betörend schöne Momente, etwa ein fernes Bach-Echo, werden mit Elektronik und Tierlauten (Hundegebell, Fliegensummen) konterkariert. So entsteht ein tönendes Bestiarium als Abbild menschlicher Bestialität. Rühmenswert die Leistung des Dirigenten Peter Rundel und seines Kammerensembles, des Altisten Alexander Plust (als jugendlicher König Henry) und der Mezzosopranistin Annette Stricker (als Regentin Catherine).
Wunderbar auch die Schlusscoda. Während die Kerzen und der Lärm der Welt verlöschen und die Glocke von Notre-Dame, die das historische Gemetzel begleitet hatte, verstummt, steppt sich der Horrorengel der Geschichte leise davon. Dann nur noch Stille, über der Georg Büchners ewige Frage zu schweben scheint: "Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?"
Ulrich Weinzierl