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Der Kurier, 11. Mai 2003

"Variationen des Sterbens"
Joachim Schloemer inszeniert Wolfgang Mitterers Oper "Massacre"

Das Buch ist bekannt, der Film von Patrice Chéreau hat Millionen Zuseher erreicht. Aber das Sterben geht weiter. Diesmal in Form einer Oper, in der Komponist Wolfgang Mitterer und Regisseur Joachim Schloemer die Bartholomäusnacht des Jahres 1572 für die Festwochen auf die Bühne bringen. Denn - so beide Künstler - "das Thema des Krieges, des Sterbens, des Massakrierens ist leider immer extrem aktuell." Am Tag des Probenbeginns in den Wiener Rosenhügelstudios brach der Irak-Krieg aus; die Frage des "ritualisierten, ideologisch motivierten Mordens" behandelt auch Wolfgang Mitterer in seiner "ersten, dabei durchgängig linearen" Oper. "Vor drei Jahren habe ich mich erstmals mit Christopher Marlowes literarischer Aufarbeitung der Bartholomäusnacht beschäftigt und war von dem Thema extrem fasziniert", betont der musikalische Grenzgänger Mitterer. Und Regisseur Joachim Schloemer ergänzt: "Das ist bei mir eine sehr emotionale Sache, die viel mit Ängsten zu tun hat. Diese aus der Kindheit kommenden Ängste setze ich auf der Bühne um. Ich will die vorgefestigten Hass-Systeme analysieren."
Stephan Müller und Wolfgang Mitterer haben das auf Marlowe und Texten der Zeit basierende Libretto zu dem von den Katholiken an den Hugenotten verübten Massaker verfasst. In 90 Minuten werden die Mechanismen des religiös verbrämten Mordens im Ronacher seziert. Fünf Sänger, neun Instrumente, Elektronik und drei, von Regisseur und Choreograf Schloemer eingefügte Tänzer illustrieren diese "Variationen des Sterbens", bei denen nach Schloemer nur der Tod als Sieger hervorgeht. Eine Erlösung ist ausgeschlossen. Denn - Schloemer zitiert einen Philosophen - "ein enthusiasmierter Christ ist das Schlimmste, was der Welt passieren kann". Dass dabei auch ein US-Präsident gemeint ist, liegt auch für Mitterer auf der Hand. Aber: "Wir wollen keine billigen Anklagen erheben, sondern nur eine Geschichte erzählen, die zeitlos aktuell ist." Eine Geschichte mit viel Emotion und Körpereinsatz, die den mit Elektronik arbeitenden Mitterer zur "fast klassischen Form" der Oper geführt hat. "Es sind viele Zitate in der Musik. Vor allem aus dem Bereich Barock, der Zeit, wo sich das Ganze zugetragen hat. Dann gibt es Zuspielungen von Tierstimmen, die verstärkend wirken."
Ein kompositorisches Element, das Schloemer gefällt. "Im Morden wird der Mensch zum Tier. Da kommen alle Instinkte, auch die schlimmsten, zum Vorschein. Am Ende liegen lauter Leichen herum und es bleibt die Frage, wer die Sauerei wieder wegmacht. Denn 10.000 Tote müssen ja irgendwie entsorgt werden. Da kann man den Schrecken sogar mit Humor entschärfen." Eines ist dabei den Künstlern wichtig: "Wir wollen keine pseudo-intellektuelle Bestandsaufnahme der Gesellschaft geben. Auf die elementaren Fragen soll jeder Zuseher selbst eine Antwort finden." Und Schloemer ergänzt: "Es geht auf dem Theater und in der Musik doch immer um Gefühle. Wir brauchen gerade heute wieder eine Radikalisierung der Gefühle. Eine abgehobene Kunst, die sich hold, weise und rein von der Bühne herunterrollt, hat für mich ausgedient." Masse und Macht, Religion und Fanatismus, Blut und Tod sind für Mitterer und Schloemer die zentralen Themen, wobei auch der Faktor Improvisation von großer Bedeutung ist. Denn: "Wenn wir über Gefühle improvisieren, finden wir Wahrheiten."

Peter Jarolin