Foto

Die Welt, 11. Februar 2002

Joachim Schloemer lässt abtauchen

Es sind nicht die Bewegungen, die Joachim Schloemers neues Stück "Les Larmes du Ciel" (Die Tränen des Himmels) so eindringlich machen. Auch Tränen regnet es im Berliner Hebbel-Theater nicht vom Bühnenhimmel. Dafür aber quillt barocke Traurigkeit aus dem Graben. Attilio Cremonesi und die sechs hervorragenden Spieler seines Collegium Musicum Köln verströmen sich adagio satt in Lamenti und ariosem Weinen von Monteverdi bis Händel. Es ist ein Klagen in dieser Tanzwelt - und Schloemer grundiert es nur sparsam kinetisch. Musik und Bewegung gehen eine selten gewordene Symbiose ein, gewinnen einen untrennbare Aura.
Die manifestiert sich schon am berührenden vokalen Ineinander der beiden sonoren Mezzosopranistinnen (Marisa Martins, Anna Radziejewska), deren Kunst mit der der drei Tänzer (Alice Gartenschläger, Olivia Maridjan-Koop, Graham Smith) nahtlos zu verschmelzen scheint. Knapp sind die Bewegungen, flächig, intensiv und verquer perspektivisch in den Raum gestellt - wie auf einem Piero-della-Francesca-Fresko. Jens Kilians beige, halbhoch schmucklose Wand mit Apsis gibt dem eine klare Spielfläche. Anders als in seinem letzten barocken Tanz-Projekt, dem stimmungsreichen "La Guerra d'Amore", liefert sich Schloemer diesmal einem Gemütszustand aus. Reduziert, andeutend, niemals erklärend. Schlaglichter und Konfigurationen des Leidens, der Melancholie.
Orpheus, Euridice und Armor; die verlassene Ariadne. Alle sind gemeint in diesem kleinen, feinen, aber doch universellen Abend. Der sich ganz einer Emotion hingibt, in ihr einen sanften Rhythmus findet, dessen Gleichförmigkeit auch tröstlich ist. Ein Abtauchen aus der Welt. Und ein sanftes Erwachen.

Manuel Brug