- 31. Januar 2002
Neue Luzerner Zeitung
Fühl-Räume der Klage - 2. Februar 2002
Basler Zeitung
Süsse Melancholie - 2. Februar 2002
Neue Zürcher Zeitung
Klagelieder und Klagetänze - 9. Februar 2002
DeutschlandRadio Köln
Anbetungswürdig - 11. Februar 2002
Die Welt
Joachim Schloemer lässt abtauchen - 12. Februar 2002
Nürnberger Nachrichten
Tanz, der wie Gesang klingt - 13. Februar 2002
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Schicksalsvogel Albatros im Anflug - 13. Februar 2002
Berliner Zeitung
Nie trifft Liebe den Richtigen - 13. Juni 2003
Salzburger Nachrichten
"Les larmes du ciel" - 10. November 2006
Südkurier
Tränen des Himmels, Sorgen der Erde
Basler Zeitung, 2. Februar 2002
Süsse Melancholie
Schon in der Inszenierung von Christoph Willibald Glucks "Orfeo ed Euridice" und später beim Erfolg "La guerra d'Amore" am Theater Basel zeigte sich Joachim Schloemers besondere Fantasie für szenisch-choreografische Crossovers. Seit dieser Saison wieder freischaffend, inszenierte er nun am Luzerner Theater. Die Premiere von "Les Larmes du ciel", einem Kammerstück für zwei Mezzosopranistinnen, drei Tänzer und das siebenköpfige Collegium Musicum Köln unter der temperamentvollen Leitung von Attilio Cremonesi, brachte auch einige Basler nach Luzern: Zu Barockmusik von Vivaldi über Monteverdi bis hin zu weniger bekannten Komponisten liess der Choreograf Tanz und Musiktheater einander noch stärker durchdringen. Als roter Faden durch den Abend führten Lamenti, gesungene Klagen über Liebe, Schicksalsschläge und Einsamkeit.
Den Auftakt bildete ein Duett Georg Friedrich Händels über die Untreue: Die beiden Sänge rinnen Marisa Martins und Anna Radziejewska mit den zwei Tänzerinnen und dem Tänzer zu einem Knäuel verwirrt, Position und Ausdruck ständig wechselnd, bevor sie für Sekunden zur lebenden Skulptur erstarrten. Die Tänzer krochen den Sängerinnen unter die Röcke und plusterten sie zu barocker Üppigkeit auf. Hände umschmeichelten die Hüfte der Sängerin und stiessen sie sachte vorwärts. Martins und Radziejewska wurde einiges abverlangt. Sie sangen in die Höhe gehoben oder auf dem Boden kriechend, reihten sich mit elegant abgeknickten Armen ins kleine Corps de ballet ein. Sang eine von der quälenden Fessel der Liebe, nahm Schloemer den Text beim Wort und liess sie handfest binden. Der wie von einer Dali-Krücke hochgestemmte Unterarm oder die auf einem schmalen Hölzchen balancierende Sängerin machten das labile Gleichgewicht der sich in Liebe Verzehrenden sichtbar. Wie sich in Momenten starker Emotion das Gefühl einstellen kann, vom eigenen Körper losgetrennt zu sein, so verdrehten die Tänzer die Glieder der am Boden liegenden Sängerinnen ins Extreme. Martins und Radziejewska gaben den Lamenti expressiven Ausdruck, mit dramatischer Gestik und wirr vom Kopf stehendem Haar oder mit gehauchter Stimme und nach innen verlegtem Ausdruck.
Eineinhalb Stunden pausenlose Melancholie könnten unbekömmlich werden. Ein Stück an das andere gereiht könnte als Nummernabfolge bald langweilen. Beides war nicht der Fall an diesem Abend. Erstaunt machte man die Erfahrung, dass "die Tränen des Himmels" nicht nur rührten, sondern auch unterhielten. Schloemer hat zwischen den fünf Bühnenfiguren ein wechselndes Beziehungsnetz geschaffen, das durch das Stück trägt, ohne dass eine konkrete Geschichte erzählt wird. Es sind Gefühlskonstellationen, die die vier Frauen und den einen Mann umtreiben. Nicht alles erklärt sich von selbst, manches bleibt auch hermetisch. Graham Smith, Alke Gartenschläger und Olivia Maridjan-Koop beeindruckten neben den Sängerinnen durch ihre traumwandlerische Präsenz. Wenn sie dem tänzerischen Element in der Barockmusik nachgaben, spürte man die Süsse der Melancholie durchs eigene Herz tröpfeln.
Maya Künzler