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Die Zeit, 15 September 1995

Abschiedswalzer, Trauermarsch
"Hochland oder Der Nachhall der Steine": Joachim Schlomers neue Choreographie in Weimar uraufgeführt

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Jäh verwandelt Schloemer den Körper - nein: nicht in eine Maschine eckiger Gebärden, sondern in ein rätselhaftes Wesen, das gestische Zeichen sendet und empfängt. Arme recken sich, um einen Lichtstrahl in den Körper zu lenken. An den Körper gepreßte Oberarme senden Unterarme, Hände, Finger wie Tentakel aus, um Botschaften zu empfangen oder Kontakt mit anderen Monaden aufzunehmen. Gekrümmt tanzen, nein: gehen, ja schleichen manche Gestalten über die Szene. Andere verbiegen sich zu verwinkelten Wesen, zu Vierfüßlern - und lösen die "expressionistisch" wirkende, ekstatische Figur auf in ruhige Bewegung, gleichmütiges Schreiten. Und immer verändert sich der Charakter einer Tanzfigur, wenn sie plötzlich von zwei Menschen wiederholt wird.
Blätter, Blumen, Zweige, Äste: mit ihnen wird wie mit Masken gespielt. Weil wir (auch) in Schottland sind, sehen wir, aus Shakespeares "Macbeth" den "Wald von Birnam" auf uns zukommen, wenn sich die ganze Gruppe im Äste-Gewirr verbirgt. Im Abschiedswalzer taumeln alle auf den Boden - und aus jedem Opfer blüht ein gelber Blütenstern. "Blumenfeld mit fliegendem Teppich" heißt das Schlußbild des faszinierenden, neuen Tanzdramas von Schloemer, mit dem er schon Abschied nimmt von Weimar.

Rolf Michaelis