- 24. Oktober 2007
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In Höhle und Glaspalast - 29. Oktober 2007
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Im Labyrinth der Gewalt - 29. Oktober 2007
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Entdeckungsreisen in Berlioz' Phantasiewelten - 29. Oktober 2007
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Kampf der Kulturen - 29. Oktober 2007
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Echte Griechen kommen mit dem Motorrad - 30. Oktober 2007
Der Tagesspiegel
Tanz den Hammer
Nürnberger Nachrichten, 29. Oktober 2007
Kampf der Kulturen
Berlioz' Monumentaloper "Die Trojaner" in Stuttgart
Hector Berlioz' "Die Trojaner" sprengen alle Dimensionen, zeitlich wie personell. Die Württembergische Staatsoper nahm die Herausforderung zum Spielzeitauftakt an. Für Stuttgarts neuen Generalmusikdirektor Manfred Honeck ein Einstand nach Maß. [...] Trotz ansehnlicher Kürzungen von Ballett-Szenen und Dialogen dauert auch Joachim Schloemers Fassung immer noch rund fünfeinhalb Stunden.
Aber die gefühlte Länge ist ungleich kürzer. Denn hier zeigt sich ideenreiches Regietheater auf mitreißendem musikalischen Niveau von seiner besten Seite. Schloemer begreift das Aufeinanderprallen von Trojanern, Griechen und Karthagern als Kampf der Kulturen. Wobei sich die Zivilisationen derart schroff reiben, dass sich gar kein Verständnis füreinander entwickeln kann. Mit kleinen, aber deutlichen Hinweisen macht die Regie klar, was er meint: Ähnlich schaut auch das Verhältnis des Westens zur islamischen und afrikanischen Welt aus.
Die Trojaner werden als animistisches Urvolk gezeichnet, das sich um den Schamanen versammelt. Marco Volta macht aus dieser stummen, durchlaufenden Zusatzrolle einen Magier mit Gummileib. Die Untertanen des Priamos hausen in einer primitiven Sandhöhle. Dort hinein ziehen sie das Trojanische Pferd, das hier als Militär-Motorrad daherkommt. Die Griechen fallen als mobile, Vietnam-erfahrene Eingreif-Truppe in die ungehobelte, vorzivilisatorische Zottel-Archaik ein. Wer da die stärkeren Waffen besitzt, versteht sich von selbst.
Dermaßen vertrieben, machen sich die Reste des trojanischen Volks mit ihrem Anführer Äneas nach Nordafrika ins karthagische Asyl auf. Das SciFi-Reich von Königin Dido hat Bühnenbildner Jens Kilian sachlich streng angelegt. Man wohnt in kühlen Glasräumen und fährt per Massen-Fahrstuhl in die hörsaalartige Galerie, wo sich das Volk tummelt und der selbstverliebten Video-Polit-Show seiner Regentin folgen darf.
Die peitscht ihr Volk gegen die nubische Bedrohung auf, die dann karikaturengleich auch sofort durch die Szene huscht: Breit grinsende Bimbos im Affengang. Mit Hilfe der trojanischen Gastarbeiter werden sie vertrieben. Doch geisterhaft treibt der dämonische Schatten Hectors die verbliebenen Trojaner ins gelobte Italien.
Das Ende ist nicht erst seit Purcell bekannt: Der in Liebe zu Dido entbrannte Äneas stellt die Staatsräson über den eigenen Trieb und flieht nächtens mit der Mannschaft übers Mittelmeer. Die enttäuschte Königin verflucht den fremden Heerführer und übergibt sich dann selbst dem Feuer. Auch für den Schlusspunkt im 5. Akt hat Ausstatter Kilian ein starkes Bild kreiert. Auf der kahlgeräumten Bühne wächst ein Scheiterhaufen aus Zivilisationsmüll und dem eigenen Volk hervor.
Es ist erstaunlich, dass die Stuttgarter Oper das Mammutwerk fast ganz aus dem eigenen Ensemble zu besetzen versteht, darunter eine überragende Christiane Iven als von Konsumrausch und Eitelkeit zerfressener Dido. Sie hat großbogige Lyrik wie Pathetik in der Stimme [...]
Auch Seherin Kassandra, die prägende Figur des ersten Teils, und Didos Schwester Anna erhalten durch Barbara Schneider-Hofstetter und Ceri Williams charakterstarke Profile. Selbst in Nebenrollen hinein herrscht kultivierte Gesangskunst etwa bei Michael Nowak als Hylas. [...] Die ausgewiesene Massenoper mit großen Tableaux macht die Volksmengen zum eigentlichen Helden: Chor, Kinderchor und die Statisterie sind in Stimme und Darstellung äußerst beweglich. [...]
Mit dem 49-jährigen Österreicher hat Stuttgart nach neun Jahren unter Lothar Zagrosek und einer InterimsSpielzeit wieder einen dirigentischen Hoffnungsträger unter Vertrag, der seine konditionsfordernde Feuertaufe mit Bravour bestand. Ihm galt der einhellige Jubel genauso wie Akteuren und Regieteam. Fazit: Dieses Musiktheater-Ereignis lohnt die Reise nach Schwaben.
Jens Voskamp