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Eßlinger Zeitung, 29. Oktober 2007

Im Labyrinth der Gewalt
Joachim Schloemer inszeniert „Les Troyens“ von Berlioz an der Stuttgarter Staatsoper - Überzeugender Einstand des neuen Generalmusikdirektors Manfred Honeck

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Bei Joachim Schloemer, der "Les Troyens" in der Stuttgarter Staatsoper inszenierte, herrscht keine Symmetrie, sondern der Gegensatz. Er zeigt die Trojaner als Höhlenbewohner und die Karthager als grau und türkis dressierte Belegschaft eines aufstrebenden Staatsunternehmens. Während sich unten Königin Dido im Designer-Schlafgemach aalt und per Videobeamer staatstragende Arien ans Volk singt, hämmert im Oberstübchen die versammelte Büromannschaft in die Laptops und schmettert zwischendurch die Firmenhymne (Bühne: Jens Kilian). Was an die szenischen Vergegenwärtigungsstrategien Jossi Wielers und Sergio Morabitos erinnert, stiftet Räume und Bilder für ein Regiekonzept, das offenkundig aufs Stichwort vom "Kampf der Zivilisationen" hört.

Wenn die Trojaner aus ihrem Maulwurfsbau zur Sonne, zur vermeintlichen Freiheit kriechen und sich aus ihren Grüne-Männchen-Unisex-Overalls schälen, haben sie weder die moderne Welt noch die List ihrer griechischen Hightech-Feinde kapiert. Sinnbildlich liegen die gesprengten Fesseln wie gerissene Ariadnefäden auf dem Boden, und sie werden keinen Weg aus dem Labyrinth der Gewalt weisen. Dafür wird mit ihnen ein Trojanisches Pferd herbeigezerrt, das sich als schwer bepacktes Motorrad entpuppt - und die Stammesgesellschaft gafft, als sei ein Ufo gelandet. Der Schamane (Marco Volta), ein feuerwasserspeiender Zeremoniengaukler, den Schloemer als verkörperte Kulturdifferenz hinzuerfunden hat, lässt segensreich den Motor knattern, die hellsichtige Außenseiterin Kassandra (Barbara Schneider-Hofstetter mit substanzvollem, bestens geführten Mezzosopran) warnt vergeblich. Hört ja keiner auf sie, nicht mal der geliebte Chorèbe (mit markigem Bariton: Shigeo Ishino). Während sie verzweifelt, sammelt er ungerührt Schnüre ein, und selbst der "keusche Kuss" findet nur im Gesangstext statt. Zwischenmenschliches Eros hat bei Schloemer keinen Stand, auch Dido und Aeneas kommen sich nicht wirklich näher.

Der Hass triumphiert hier schon vor dem Finale, und deshalb birgt der Clash immer auch den Crash der Zivilisationen: Die Griechen richten als coole Computer-Killer, die wie auf dem Bildschirm einschweben, ein barbarisches Gemetzel an, und in Karthagos Shopping-Welt, wo Dido von Schwesterherz Anna (mit sattem Alt: Ceri Williams) schon mal einen Dildo geschenkt bekommt, werden bei der "Königlichen Jagd" Schwarzafrikaner gehetzt und gemeuchelt, als läge Karthago im Osten Deutschlands.

[...] Im Schlussbild aber, einem ragenden Scheiterhaufen aus Chorpersonal und Stühlen, bringt er das Ende der Geschichte im Doppelsinn auf den Punkt: Dido gibt sich den Todesstoß, Karthago ist nicht zu retten. Christiane Iven in der Rolle der unglücklichen Königin hat die Partie bis zum letzten Ton mit erlesenem Sopran gesungen, leucht- und farbkräftig, zu jeder Schattierung und zu feinstem Espressivo fähig. [...]

Wahrlich fulminant singt der von Michael Alber und Johannes Knecht einstudierte Opernchor, und dem neuen Generalmusikdirektor Manfred Honeck gelingt mit dem wie verjüngt aufspielenden Staatsorchester eine Spitzenleistung. [...] Großer Applaus für alle Beteiligten.

Martin Mezger