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Der Tagesspiegel, 26 April 2007

Wahn und Rausch
DEUTSCHE OPER: Joachim Schloemer entdeckt in Alexander Zemlinskys Oper „Der Traumgörge“ ein böses Märchen von Macht und Verführung

In den besten Momenten kann Oper für den Regisseur und Choreografen Joachim Schloemer faszinierend und schockierend zugleich sein. Dann ist diese Kunstform ein musikalisches Zeitdokument, das uns herausfordert, die eigene Haltung infrage zu stellen. Darin unterscheidet sich die Oper vom Schauspiel, bei dem die Künstler alleine auf die Sprache vertrauen müssen, und auch vom Tanz, der für Joachim Schloemer eine geradezu existenzielle Bedeutung hat. "Tanz ist für mich oft auch eine Frage des rein physischen Überlebens. Ich versuche durch ihn das innere Feuer zu löschen. Oper hingegen ist ein völlig anderes Medium, das aber eine ähnliche emotionale Brisanz hat - allerdings aus einer anderen Perspektive", betont Schloemer.

Während der Choreograf völlig freie Hand hat und auch der Schauspielregisseur noch tief in den Text eingreifen kann, ist der Opernregisseur in einem System gefangen, das ihm zahlreiche Zwänge auferlegt. "Das fängt schon beim Titel an", erklärt der filigrane Mann im Sitzungssaal der Deutschen Oper, "kein Mensch versteht doch, was 'Traumgörge' heißen soll. Man denkt dabei doch eher an Eiscreme. Besser wäre 'Görge, der Träumer'."

Der Titelheld von Zemlinskys Oper hängt seinen Fantasien nach und verlässt schließlich kurz vor der Verlobung mit Grete sein Dorf, um jene Prinzessin zu finden, die ihm in seinen Träumen erschienen ist. Görge begibt sich auf eine Reise, die ihn in zwielichtige Regionen bringen wird. "Dieses Märchen ist nicht positiv. Görge ist gefährlich. Er kommt in eine durchaus faschistoid gezeichnete Gesellschaft, in der er schnell reüssiert, weil es ihm durch seine Sprachmächtigkeit gelingt, die Massen zu bewegen. Dieser Gesellschaft entflieht er eher zufällig. Schließlich kehrt er zurück in sein Dorf, und es kommt zu einem ganz merkwürdigen musikalischen Schluss, der uns als Zuhörer in einen schwebenden, drogenhaften Zustand versetzt."

Gerade der überwältigenden Musik am Schluss der Oper steht Schloemer extrem kritisch gegenüber. Die Verwirklichung des Traums in der dörflichen Enge hat etwas Sektiererisches. Mit Logik ist der letzte Akt kaum zu erklären. "Görge ist plötzlich der nette Dorflehrer geworden, nachdem er mittellos aus der Fremde heimgekehrt ist? Man fragt sich doch sofort: Habe ich da was verpasst? Da fehlen doch ungefähr vier Akte, um diese Wendung zu verstehen! Es braucht große Traumbilder, um eine neue Verständnisebene zu vermitteln."
Es wird zwar einen konkreten sozialen Ort geben, an dem Schloemers Inszenierung spielt, sein "Traumgörge" zielt aber nicht auf Wirklichkeitsabbildung. Auch wenn er keine Details verraten will, lässt sich ihm vor der Premiere doch entlocken, dass sich mehrere Bedeutungsebenen übereinander schieben werden und so eine Festlegung unmöglich machen. Von Anfang an gleiten Traum und Realität ineinander. Die dabei entstehenden Bilder haben eine große verführerische Kraft."

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Uwe Friedrich