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Berliner Morgenpost, 25 May 2007

Der Tänzer als Opernregisseur
Joachim Schloemer inszeniert Zemlinskys "Traumgörge". Und erholt sich vom Proben in einer Tangobar

Was macht ein Opernregisseur in seiner Freizeit? Wie erholt er sich vom anstrengenden Probenmarathon vor der Premiere? Joachim Schloemer, der an der Deutschen Oper Berlin gerade die Zemlinsky-Oper "Der Traumgörge" inszeniert, geht Tango tanzen. [...]
Auch am Abend unseres Treffens hat sich Joachim Schloemer wieder unter das Publikum gemischt. Doch bevor es ihn zum Tanzen zieht, findet er noch Zeit zum Gespräch über den "Traumgörgen". Schloemer, der 1999 seinen großen Durchbruch mit Wagners "Rheingold" in Stuttgart hatte, inszeniert zum ersten Mal in Berlin. Die Erwartungen sind hoch, zumal er einen wichtigen Beitrag zur Wiederentdeckung Alexander Zemlinskys leisten möchte.

Wie so viele andere Komponisten zwischen Spätromantik und Moderne ist auch Zemlinsky nach seinem Tod schnell in Vergessenheit geraten. Erst in den letzten dreißig Jahren ist er zögerlich rehabilitiert worden. Man glaubt es kaum: Seine Oper "Der Traumgörge", von 1903 bis 1906 in Wien entstanden, wurde erst 1980 in Nürnberg uraufgeführt, knapp 75 Jahre nach der Entstehung. Dass dieses Werk nun an der Deutschen Oper zu erleben sein wird, kann man als eine späte Wiedergutmachung an Zemlinsky interpretieren - nichts lag dem ehemaligen Lehrer von Arnold Schönberg nämlich so sehr am Herzen wie ein Erfolg in Berlin.

Im Zentrum der Oper steht Görge, ein introvertierter, sensibler junger Mann, der dem Berufsalltag und vorbestimmten Eheleben entflieht, um sich auf die Suche nach seiner Traumprinzessin zu machen. Was sich vordergründig wie ein Märchen mit Happy End anhört, wird bei Zemlinsky zum bitteren Gesellschaftskommentar.

"Der "Traumgörge'", so Joachim Schloemer, "ist ein durch und durch düsteres, fatalistisches Werk. Es geht um die Unvereinbarkeit von idealisierter Traumwelt und brutaler Realität. Zemlinsky war ein genauer Beobachter seiner Zeit. Er hat mit ungeheurer Klarheit den aufkeimenden Faschismus vorausgesehen."

Während Schloemer spricht, gleitet sein Blick immer wieder über die zahlreichen Tangopaare, die sich wie in Trance zur Musik bewegen. "Die Idylle in dieser Oper ist trügerisch", sagt er. "Wer sich die Musik anhört, merkt sofort, dass Gefahren im Hintergrund lauern."

Lobende Worte findet Schloemer für Steve Davislim, den Darsteller des Görge. Viele Sänger hätten diese Rolle abgelehnt, aus Angst vor den uneinschätzbar großen Schwierigkeiten. "Zemlinsky schenkt seiner Hauptfigur nichts. Er verlangt einen lyrischen Tenor, der sich gegen einen ausgewachsenen spätromantischen Orchesterapparat behaupten muss und zweieinhalb Stunden lang fast durchgängig in Aktion ist. Vermutlich ist Steve Davislim zurzeit der einzige Sänger auf der Welt, der diese Partie auswendig beherrscht."

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Felix Stephan