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zueritipp.ch, 28. Januar 2005

Tanz: Joachim Schloemers «speed. neither/nor»
Joachim Schloemer, einst Tanzchef in Basel und seither als freischaffender Choreograf und Regisseur international erfolgreich, tanzt zusammen mit Graham Smith Endlosschleifen zwischen Getriebensein und Verglühen: «speed. neither/nor»

Es ist ein Glück, dass ein Choreograf, Tänzer und Regisseur, der im Tanz-Schauspiel- und Musiktheater international gefragt ist, im Tanzhaus Wasserwerk auftritt. Doch das ist für Joachim Schloemer, der nicht an Etiketten klebt, kein Thema: «Ich bin zufällig am Tanzhaus Wasserwerk vorbeigefahren und hatte spontan die Idee, hier "speed. neither/nor" zu zeigen.»
Und als Joachim Schloemer und Graham Smith im Tanzhaus Wasserwerk zu proben begannen, schleppten sie Tische und Stühle von einer Wand zur andern. Der Raum sollte anders aussehen als sonst. Denn: «Zupacken und Umbauen bis zum Umfallen, gehören auch ein wenig zum Stück», erklären die beiden Tänzer, die zugleich ihre Choreografen sind. Die Schlepperei von Gegenständen ist nicht ohne Selbstironie. «speed. neither/nor» zeigt einen instinktiven Drive, der sich unaufhaltsam in sich selbst beschleunigt. Und zwar bis zur Auflösung der Parameter von Zeit und Raum und bis zum Verglühen der Körperkräfte.
Die zuweilen auch ins Destruktive führende Unausweichlichkeit der Leidenschaft Tanz: Joachim Schloemer und Graham Smith vergleichen diese auch «mit dem zwanghaften Instinkt eines Hundes, sich gierig in etwas festzubeissen und nicht mehr loszulassen». Was geschieht, wenn man eine brennende Kraft nicht mehr stoppt? Diese Frage wollen die beiden Tänzer in «speed. neither/nor» mit grösstmöglicher Intensität ausloten.
Sie haben aus ihren Körpern explosive Bewegungssequenzen gelockt, diese in Synchronizität gebündelt und dann durch eine Beschleunigungsmaschine geschickt. Im atemlosen 75-minütigen Duett flackern ab und zu im Bühnenhintergrund zarte, assoziative Filmbilder von Lebensstationen auf. Dazu kommen Geräusche aus einer Zementverarbeitungsmaschine. In diesem Perpetuum mobile sich wild jagender Impulse kommen die beiden Tänzer schliesslich in einen Raum, den sie explizit als «spirituell» bezeichnen: «Es gibt einen Punkt, an dem man wie von einer Klippe springt», sagen die beiden. «Entweder zerspringt der Körper einfach in tausend Stücke, oder eine andere Kraft übernimmt, nämlich diejenige des Verglühens und Schwebens, wo zuletzt nur noch Klang und Licht bleiben, bis auch diese sich auflösen.» All dies ist «speed. neither/nor»: unterschwellig zart gewoben und/oder bewusst hammermässig vorangetrieben. Und die beiden Tänzer betonen: «Zum Schluss ist alles eine unbekannte Einheit.»
Angefangen hatte diese «Grenzgänger-Expedition» in einem kleinen Dorf bei Lissabon: in einem ehemaligen Schweinestall, der zum rudimentär ausgerüsteten Theaterraum umgebaut wurde. Dort hatten der Grenzgänger Joachim Schloemer und Graham Smith, langjähriger Tänzer von Schloemers Company, zu improvisieren begonnen. Zunächst ohne Ziel. «Wir waren neugierig darauf, was passiert, wenn wir unsere gemeinsamen Nenner multiplizieren.» Daraus haben sich multiple Welten entfaltet. Nicht nur «speed. neither/nor». Es ist auch das Material zu Joachim Schloemers «Morton, Morton, Morton» entstanden, einer Dreifachspiegelung des Komponisten Morton Feldmann mit Graham Smith als Tänzer, die bis vor kurzem im Theater am Neumarkt zu sehen war.
Und die Expedition der Grenzbereiche soll noch lange nicht zu Ende sein: Ein ständiger Neuanfang ist angesagt, und Joachim Schloemer will in Zukunft noch ein paar Wahrnehmungsschichten und Endlosschleifen tiefer forschen, dort, «wo Lautes gleichzeitig Stilles wird, und umgekehrt».

Eva Bucher