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Neue Zürcher Zeitung, 29. Januar 2005

Spurten bis zum Umfallen
Schloemer und Smith im Tanzhaus Wasserwerk

Perpetua mobilia gibt es nicht. Sogar der unermüdlichste Aufziehhase hat einmal ausgehoppelt. Und auch dem Menschen geht auf seinem Spurt durch das Leben irgendwann die Puste aus. Und dann? Um die Verausgabung sowie um die Frage nach dem Danach dreht sich das Stück «speed. neither/nor», ein Duo von Joachim Schloemer und Graham Smith, das am Donnerstag im Tanzhaus Wasserwerk uraufgeführt wurde. Es ist eine atemberaubend physische Miniatur, schlicht und unprätentiös komponiert und doch von einer frappierenden und berührenden Eindringlichkeit. Nachdem die beiden vor einer schwarzen Tafel, einer Tabula rasa quasi, darüber sinniert haben, wohin alles geht, heben Schloemer und Smith zu einem Tanz an, der sie in eine sich wiederholende Endlosbewegung versetzt - bis zum Umfallen.
Während die Tänzer einige wenige Bewegungsphrasen ständig repetieren, ja diese regelrecht abspulen, räumlich und durch die Beleuchtung von Andreas Grüter variiert, stellen sich in der Wahrnehmung der Zuschauenden verblüffende Effekte ein. Man wird jeweils plötzlich gewahr, was Tempo und Intensität mit diesen Körpern anstellen: Die flinken Automaten werden zu Leibern, die mit aller Kraft gegen die Strapazen anrennen und schliesslich loslassen, sich dem Speed ausliefern. Dabei erkennt man mit der Zeit den perkussiven Rhythmus, den die Körper in den Raum stellen, mit ihren Schritten, den hart oder sachte auf den Boden auftreffenden Gliedern, mit den schleifenden Kleiderstoffen und der Haut und mit dem Atem, der zuweilen in ein Keuchen übergeht. Und wenn sie nicht mehr können, lassen sie Plastikspielzeuge für sich hasten und posieren, streuen sich Asche auf die Füsse, legen Staub-Spuren quer durch den Raum und ihren nackten, abgehetzten Körper ins Licht, bis dieser durch ein beleuchtetes Nichts ersetzt wird. Aus der ungestümen physischen Heftigkeit wird Poesie.
Schon lange hat man den international bekannten Choreografen und ehemaligen Tanztheaterdirektor Joachim Schloemer nicht mehr selber auf der Bühne gesehen. Das er mit «speed. neither/nor» gerade im Zürcher Tanzhaus Wasserwerk eine eigens getanzte Uraufführung gibt, ist eine freudige Überraschung, Schloemer habe sich bei den Proben zum Stück «Morton, Morton , Morton » für das Theater Neumarkt, zusammen mit seinem langjährigen Tanzgefährten Graham Smith, in die Räume des Tanzhauses Wasserwerk verguckt und wollte da gleich ein Stück kreieren. Dieses nun bringt der Studiobühne für diese Tage den Nimbus von grossartigem Tanz, der - wie die Örtlichkeit selber - schnörkellos, klar und auch ganz persönlich erscheint.

Christina Thurner