Foto

Basler Zeitung, 4. Februar 2005

Zwei Körper am Limit
«Speed» von Joachim Schloemer in der Kaserne Basel

Joachim Schloemer, ehemaliger Leiter des Basler Tanztheaters, ist für ein Gastspiel nach Basel zurückgekehrt. Der Choreograf und Regisseur steht in «Speed» mit Graham Smith als Tänzer selbst auf der Bühne.
Der Mensch hastet durchs Leben bis zum Punkt, wo er nicht mehr kann. Bis der Herzinfarkt, bis die Altersgebresten ihn einholen und zur Ruhe zwingen. Exit. Hätten wir Distanz zu uns selber, wir wunderten uns über unser eigenes Tun. Was treibt uns zur permanenten Aktivität an?
Was Joachim Schloemer und Graham Smith in «Speed. Neither/Nor» auf der Reithallen-Bühne der Basler Kaserne in einer Stunde in gnadenloser Hochgeschwindigkeit durchexerzieren, erscheint wie ein Konzentrat all dieser Fragen. Nichts ist unmittelbarer als der Körper, um die Ressourcen unserer Energien bis zu deren Ende zu testen.
Bevor sich die beiden Tänzer/ Choreografen in den Strudel einer nicht abbrechen wollenden Bewegungsschlaufe werfen, stehen sie dicht vor einer der drei Tafeln wie vor einer Klagemauer und sprechen emotionslos und chorisch Sätze, die von Aufbruch und der Ungewissheit des Ziels handeln. Vielmehr: Es spricht aus ihnen, aus dem Dunkel des Unterbewussten.
Nach dem Prolog wird es körperlich, es geht an die Substanz. Synchron spulen die beiden Tanzenden klar umrissene und komplexe Bewegungssequenzen in atemberaubendem Tempo ab. In Phasen wiederholen sich die Muster und automatisieren sich, während das Licht immer wieder neue Raumverhältnisse schafft.
Zwischendurch halten Schloemer und Smith inne, horchen in die Stille, um sich bald darauf dynamisch in das streng strukturierte Bewegungsprogramm zu schmeissen. Als tickte eine Uhr und hetzte die Körper durch die Zeit. Tatsächlich hören wir nur ihren Atem, ihr Keuchen, das Aufschlagen der Körper auf dem Boden, die rhythmisierenden Geräusche der Füsse und das stete Rauschen der Lüftung, die sich immer mehr ins Bewusstsein des Publikums drängt und Assoziationen an einen Maschinenraum evoziert. Erst gegen Ende der Performance entstehen zeitliche Verschiebungen in den Handlungen der beiden Tanzenden.
Während der eine weiter hastet, verlangsamt sich der andere. Unbeweglich beobachtet er den aus seiner Hand zu Boden rieselnden Sand - Bild der Vergänglichkeit. Ganz zum Schluss kippt die Szenerie auf eine Metaebene, als kurze Filmausschnitte über die Tafel flimmern. Schichten legen sich über- und ineinander; gleichzeitig mutieren die Körper zu nackten Skulpturen. Schlaglichter auf Geburt und Tod, auch das irritierende Abbild einer männlichen Barbie-Puppe, die mit verrenkten Gliedern von einem Lichtspot eingefangen wird.
«Speed» ist auf der Probebühne des Tanzhauses Wasserwerk in Zürich entstanden und hatte letzte Woche dort seine Uraufführung. Es trägt noch etwas von diesem Studio-Charakter in sich und ist doch ein in sich kohärentes, abgeschlossenes Werk. In der Intensität der Bewegung zeigt sich die Ambivalenz von schöpferischer als auch destruktiver Kraft. Diese Energie, welche die beiden Tanzenden, ganz physisch und unprätentiös zur Schau gestellt, in die Auswegslosigkeit eines Weder-noch zu zwingen scheint. Das macht den Abend höchst faszinierend und beunruhigend.

Maya Künzler