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Rhein-Neckar-Zeitung, 11. Juli 2011

Natur im Kontrast zur Vernunft
Joachim Schloemer inszenierte Mozarts "Zauberflöte" am Nationaltheater Mannheim

Ein Tempel der Weisheit, einer der Vernunft und einer der Natur geben in der „Zauberflöte" die Richtung an für den wahren Weg des Menschen. In seiner Neuinszenierung von Mozarts Oper am Nationaltheater Mannheim rückt der Regisseur Joachim Schloemer die Dialektik dieser Begriffe ins Zentrum seiner Deutung. Die Natur könnte ein Gegenmodell sein zur Weisheit und Vernunft, das deutet sich in Jens Kilians Bühnenbildern allemal an. Und oft genug sind es Vexierbilder, Illusionen, welche die Sicht auf die Dinge verschleiern.

Das fängt schon in der ersten Szene an, wenn Tamino von der Riesenschlange verfolgt wird. Im Hintergrund sieht man ein Riesenviech aus weißem Papier, im Vordergrund stellen zwei schwarz Gewandete ein Miniaturmodell desselben zur Schau: Tamino fürchtet sich demnach vor einer Art Glühwurm. Das Bildnis von Pamina projiziert Papageno mit einer Taschenlampe ins Laub der Bäume, und schönen Bühnenzauber begleitete auch den Auftritt der Königin der Nacht: im nachtblauen Kleid erscheint diese, und zum Kabaletta-Teil ihrer Auftrittsarie bauscht sich das Kleid mächtig auf wird, zum Himmelszelt, das die ganze Bühne bedeckt: Dagmar Morell schuf die sehenswerten Kostüme.

Einen wahren Zauberwald hat Jens Kilian auf die Bühne gestellt: bunt, in satten Grün- und Braun-Tönen. Nicht nur sehr praktikabel, sondern überaus apart gehen die Szenenwechsel über die Bühne. Dabei wird die ganze Szenerie nach hinten gefahren, sich perspektivisch verjüngend. Und an den Seitenwänden steht schon das neue Bühnenbild bereit. Kunterbunte Natur wird von spartanischem Schwarz-Weiß in Sarastros Vernunft-Welt abgelöst. Ein autoritäres Regime führt dieser Sonnenkönig in seinem Reich, sein Sekten-Volk ist ganz in Schwarz gekleidet, im Rokoko-Stil der Mozartzeit. Strenge schwarze Zöpfe, schwarze Gehröcke, leerer Blick. Zum Prüfungsritual werden Tamino und Papageno in eine Art Nibelheim geführt. Ein schwarz ausgeschlagenes Kellergewölbe, in dem die letzten hellen Farbreste schwarz übertüncht werden. Ein Raum, der an M.C. Eschers „Treppauf treppab" erinnert, mit labyrinthisch verschlungenen Stahlstufen, die zu einem in alle Richtungen verkaufenden Kontinuum verbunden sind. Die Treppen und Geländer sind das einzige, was in diesem Dunkel leuchtet. Und als gegen Ende die Königin und ihre Damen mit Sprengkörpern hantieren, geht danach die ganze nächtliche Welt in einem atomaren Lichtblitz zugrunde. Aber nicht die Strahlen der Sonne sind es, die an die Stelle der Nacht treten, sondern hell gleißendes Scheinwerferlicht in Spiegelungen, das nun auch die Zuschauer blendet. Sarastro und sein erster Priester haben eine große geheimnisvolle „black box" hereingefahren, bei deren Öffnung das blendende Licht herausstrahlt. Eine fragwürdige Utopie tut sich dabei auf, wenngleich das Sektenvolk nun bunt eingekleidet daherkommt und Freudentänze vollführt. Ist es eine neue Diktatur, die nun alles vereinnahmt? So ganz klar wird das nicht in dieser Inszenierung, die an Trugbildern reich ist und daher mehr Denkanstöße liefert als Lösungen aufzeigt.

Musikalisch hatte die Premiere große Lichtblicke, wofür an vorderster Front Maximilian Schmitt, der Darsteller des Tamino, zuständig war. Ein hochbegabter junger Tenor der Extraklasse, der seine Arien in wunderbar weich und warm tönender, herrlich biegsamer Lyrik gestaltete. Bei ihm war schönste Musikalität mit gestalterischer Intelligenz trefflich gepaart. Viel Freude bereitete ebenso der Papageno Lars Moellers. Ein etwas dusselig daherkommender Vogelfänger, der seine Panflöte zunächst falsch herum und recht schräg tönend spielt, aber mit lyrisch wohlgetöntem Bariton schön entspannt gestaltet. Beste Eindrücke hinterließ Cornelia Ptassek, die mit samtig und dunkel leuchtendem Sopran eine selbstbewusste Pamina sang.

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Großen Schwung und Klangkraft brachte der Chor des Nationaltheaters in die Aufführung. GMD Dan Ettinger dirigierte einen erregenden, impulsstarken Mozart, der vom trefflich aufspielenden Nationaltheater-Orchester gleichfalls wunderbar differenziert umgesetzt wurde. Einhelliger Jubel am Ende.

Rainer Köhl