- 26. April 2007
Der Tagesspiegel
Wahn und Rausch - 24. Mai 2007
Berliner Zeitung
Wie wirklich sind Märchen? - 25. Mai 2007
Berliner Zeitung
Musik mit Schlagseite - 25. Mai 2007
Berliner Morgenpost
Der Tänzer als Opernregisseur - 28. Mai 2007
ad-hoc-news.de
Beifall und Bravorufe für «Traumgörge»-Premiere - 29. Mai 2007
Berliner Morgenpost
Abgründiges Großstadtmärchen - 30. Mai 2007
die tageszeitung
Endlich vom Drama befreit - 30. Mai 2007
Kieler Nachrichten
Vor Idyllen wird gewarnt - 30. Mai 2007
Neues Deutschland
Die Utopie ist tot - 31. Mai 2007
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Diese Musik narkotisiert - 14. Juni 2007
echo online
Wie eine Märchenstunde
die tageszeitung, 30. Mai 2007
Endlich vom Drama befreit
Diese Musik liebt nicht die Form, sondern den gelungenen Augenblick: An der Deutschen Oper inszeniert Joachim Schloemer mit Jacques Lacombe am Pult Alexander von Zemlinskys Oper "Der Traumgörge" von 1906. Die Premiere schafft es, Zemlinskys Beitrag zur Moderne deutlich herauszuarbeiten
Noch immer muss Alexander von Zemlinsky neu entdeckt werden, seine Musik entzieht sich beharrlich den gängigen Kategorien. Zwar steht sie in der Zeittafel am Anfang der Moderne - Zemlinsky hat Arnold Schönberg in Kontrapunkt unterrichtet und war zeitlebens eng mit ihm befreundet. Modern klingt sie dennoch nicht, denn sie will keine Traditionen sprengen, sie ist vielmehr auf der Suche nach ihrer Synthese im vollendet schönen Klang, den sie mit allen verfügbaren Mitteln der Komposition und Instrumentierung erreichen will. Die Zeitgenossen jedenfalls waren beeindruckt. Gustav Mahler wollte den "Traumgörge" 1906 zur Uraufführung bringen, die dritte Oper des erst 35 Jahre alten Kollegen, der als Dirigent bereits ebenso geschätzt war wie er selbst. Aber das Projekt scheiterte, und Zemlinsky legte die fertige Partitur in die Schublade, uraufgeführt wurde sie erst 1980 an den Städtischen Bühnen von Nürnberg.
Nun haben Joachim Schloemer und sein Ausstatter Jens Kilian an der Deutschen Oper einen neuen Versuch der Wiederbelebung unternommen. Er gelingt durch eine energische Dekonstruktion des literarischen Stoffes, den Zemlinsky mit seinem Librettisten Leo Feld zusammen entwickelt hatte. In den Wiener Kaffeehäusern der Jahrhundertwende mochte die Figur eines schwärmerisch gestimmten Tagträumers, der die schnöde Bürgerwelt verlässt, um dann doch genau dorthin zurückzukehren, nun aber belehrt über die wahre Liebe, die unsere Träume verwirklicht, irgendwie plausibel erscheinen. Die zwei Akte und das Nachspiel, die Episoden dieser Männerfantasie schildern sollen, machen das Stück heute fast unaufführbar. Schloemer und Kilian verbannen es deshalb in die Zwischenetage eines U-Bahnhofs. Eingesperrt in Bunkerwänden, Beton- und Rolltreppen, wird der Träumer schöner Gefühle zur komplett lächerlichen, zwischen Selbstmitleid und Größenwahn taumelnden Witzfigur: Ein strebsamer Gymnasiast wird Penner und beinahe zum Anführer einer Revolte gegen die Reichen. Aber es graust ihm vor der Gewalt des Pöbels, er beschließt seine Karriere doch lieber als alter Hippie, der sich mit seiner Liebsten auf einem Hochsitz als Guru einer vertrottelten Aussteigersekte feiern lässt.
Bevor der Vorhang endgültig über dieser Farce fällt, sind alle tot, offenbar dahingerafft von einem Giftgasanschlag auf die U-Bahn. Nur das Traumpaar singt davon unberührt seine letzten, in den Himmel reiner Schönheit entschwebenden Töne. Sie klingen unwirklich, aber keineswegs zynisch oder falsch, denn es gelingt dieser Aufführung, Zemlinskys Musik aus dem Gefängnis ihres literarischen Zeitgeistes zu befreien - eben indem sie ihn als Gefängnis zeigt. Unter der Leitung von Jacques Lacombe klingt darin eine ganz andere Art des Träumens auf: Die notdürftig zusammengeflickte Textvorlage ist nur ein Vorwand für die Vision einer sich selbst genügenden, vollkommenen Beherrschung der musikalischen Mittel über alle Stilvorlagen hinaus. Zu Recht verzichten Steve Davislim als Görge und Manuela Uhl in der Rolle einer Frau, die ihm "Mutter, Schwester und Weib" zugleich sein soll, auf jeden Versuch einer Charakterzeichnung. Es sind nur Stimmen, und oft nicht einmal die wichtigsten, in einer an sich selbst berauschten, aber dennoch disziplinierten Polyphonie. Die Überfülle melodischer, harmonischer wie auch rhythmischer Einfälle sorgt jeden Augenblick für neue Überraschungen. Alles scheint möglich in diesem noch unfertigen Universum des Klanges, das nur ganz oberflächlich mit der kläglichen Dramaturgie des Textes verbunden ist - und Schloemer setzt mit seinem absurden Puppentheater einen derart harten Kontrapunkt, dass diese Musik von der Last der Bedeutsamkeit befreit aufleben kann.
Das Ergebnis ist ein nicht immer leicht nachzuvollziehendes Spiel von Gegensätzen. Die Bühne widerspricht dem Orchester und hinterlässt auch dort ein musikalisches Fragment. Denn derart abgelöst vom Drama, sind auch die Mängel dieser Partitur nicht mehr zu überhören. Sie zerbricht in lauter kostbare Einzelteile, die Zemlinsky noch nicht zur geschlossenen, dramatischen Großform der Oper zusammenfügen konnte. Zwar klingen immer wieder leitmotivische Wiederholungen auf, aber sie schaffen keinen inneren Zusammenhang. Alles ist Spielmaterial, an dem der Komponist mit fühlbarem Stolz seine virtuose Kunst vorführt. Vielleicht aber liegt gerade darin Zemlinskys Beitrag zur Moderne: Womöglich weit radikaler als bei seinem berühmten Schüler Schönberg steht bei ihm der Begriff des Werkes zur Disposition. Seine Musik liebt nicht die Form, sondern den gelungenen Augenblick; sie entsteht wie eine Improvisation aus der Konstellation von Einfällen und vorgegebenen Mitteln und lässt sich allein von diesem Material zu immer neuen, unerwarteten Horizonten weitertreiben.
Niklaus Hablützel