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Der Bund, 10 September 2012

Umjubelter Neustart
Lodernde Gewalten in der Musik, eine packende Regie und eine Sängerin, die zu explodieren scheint: Die Eröffnungspremiere von Konzert Theater Bern mit Ludwig van Beethovens Oper «Fidelio» begeistert.

Was braucht es, damit es den Chefdirigenten des Berner Symphonieorchesters, Mario Venzago, aus den Socken haut? Einerseits bestimmt eine fesselnde, musikalisch und szenisch überwältigende «Fidelio»-Premiere, die vom Publikum mit frenetischem Applaus, Bravo-Rufen und gar stehenden Ovationen gefeiert wird. Andererseits dürfte am Samstag wohl doch letztlich die extrem schiefe Bühnenebene das ihre dazu getan haben, dass sich Venzago zwischen zwei Applausrunden kurzerhand seiner Schuhe und Socken entledigte.

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Abgesehen vom begeisternden Einsatz der Musikerinnen und Musiker des BSO an diesem Abend hat man auch im Vornherein den Aufwand nicht gescheut, sondern sich eine eigene Fassung von Beethovens einziger und mehrfach überarbeiteter Oper zusammengestellt.

Dabei hat man den Rückgriff auf die erfolglose Erstfassung gewagt, sich aber auch die Freiheit genommen, einige spätere Änderungen zu belassen – eine Zusammenstellung, die durch selten gehörte Arien und Ensembles immer wieder überrascht und sich insofern bewährt, als dass dank der packenden Regie von Joachim Schlömer der Spannungsbogen über die drei Stunden dauernde Vorstellung gewahrt werden kann.

Letzteres ist nicht selbstverständlich: Schwarz-weiss sind der Lichtrahmen und das schlichte, faszinierende Einblicke offenbarende Bühnenbild von Olga Ventosa Quintana – und schwarz-weiss ist auch die Moral von der Geschicht, die Beethoven mit diversen Librettisten nach einem französischen Stück gestaltet hat: «Wer ein holdes Weib errungen, stimm in unsern Jubel ein!» Der seelenlose Bösewicht wird derweil am Strick aufgeknöpft. Dass der Opernabend im Stadttheater dennoch nicht in statischem Schablonendenken verhaftet bleibt, ist das Verdienst des ehemaligen Choreografen Schlömer.

Er arrangiert – auch dank der Lichtstimmungen von Karl Morawec – wunderbare Bilder, findet einfache, aber eindrückliche Gesten, legt ab und zu auch mal Spuren, die ins Nichts führen, und versucht gar nicht erst, jede Wendung der Handlung schlüssig zu erklären. Selbst das leicht altbackene Ende macht letztlich gerade durch seine schlichte Gestaltung grausen – und offenbart Abgründe, die bereits im Verlauf des Abends immer wieder mal aufblitzen.

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Ist das sängerische Niveau dieser Produktion an sich schon hoch, singt Miriam Clark als Fidelio/Leonore sprichwörtlich um ihr Leben und das ihres Gatten. Mit grandiosem Stimmmaterial und intensiv glühendem Ausdruck gestaltet sie eine Partie, die an elementarer Wucht, aber auch an leisen Tönen nichts zu wünschen übrig lässt.

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Für gewöhnlich heisst es: Ende gut, alles gut. Wenn nun bereits der Einstand von Konzert Theater Bern so überzeugend gelang, lässt die Fortsetzung viel erwarten.

Daniel Allenbach