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Die Welt, 15 January 2006

All-Archäologie
Gerade ging die Premiere zu "Cosi fan tutte" in Hannover zu Ende. Joachim Schloemer hat einen wunderbaren Abend inszeniert. Und im Mittelpunkt stand: der Mensch.

Wie es wohl ist, wenn die Leute aus dem All in den Überresten der Welt kramen, um zu erforschen, wie sie waren, diese Menschen. Wenn sie mit ihren Roboterzangen irgendwo dort, wo einmal Hannover war, Perücken aufgabeln, eine derangierte Tischdecke und eine Heiratsurkunde. Und wenn sie all den Krempel in ihre Plastiktüten stopfen. Welchen Reim werden sich die Außerirdischen auf uns machen?
Vielleicht, daß die Menschen gern Theater gespielt haben? Und daß dieses ein ganz besonderer Theaterabend gewesen sein muß, den die All-Archäologen da zufällig rekonstruieren? Werden sie je darauf kommen, daß Mozart gespielt wurde in dieser Nacht? Seine Schule der Liebenden, die Oper "Cosi fan tutte", und werden Sie erkennen, daß sie ihre Mission Mensch damit eigentlich für abgeschlossen erklären können - weil sie dem wunderlichen Wesen nicht näher kommen können als dieser Komponist. Und vielleicht auch nicht als der Regisseur Joachim Schloemer in der Niedersächsischen Hauptstadt?
Schon in der Ouvertüre - auf einer Bühne weiß-in-weiß, der Saal von Scheinwerfern illuminiert (Ausstattung: Jens Kilian) - stellt sich der Metteur en scene die Ankunft der Fremden in Raumanzügen auf der Erde vor. Und dann erzählt er Mozarts Geschichte. Einfach so: unprätentiös, frei von jedem geschrubeltem Wollen, leichtfüßig, fast in kosmischer Schwerelosigkeit. Am Ende erschrickt man, daß man sich an diesem verzwickten und abgründigen Plot so wunderbar unterhalten hat. Daß Schloemer zwar desillusioniert, nie aber am Menschen an sich zweifelt.
Und man staunt, was in diese Oper um die Prüfung zweier Frauen, die von ihren Männern verlassen, um in Verkleidung neu erobert zu werden, nicht alles schon an zivilisatorischer Überdeutung, an menschlichen Apokalypsen, an Liebes-Horror-Szenarien hereingedeutet wurde. Schloemer entrümpelt die Handlung vom Intellekt, sucht nichts anderes als das Sein des Homo homo sapiens - und er findet eine herrlich merkwürdige Geschichte.
"Cosi" ist für ihn ein ständiger Balanceakt auf einer runden Scheibe. Mal hebt sie sich in die Schräge, mal dient sie als Hochzeitstisch, dann wieder eiert sie haltlos umher, auf der vergeblichen Suche nach Ausgeglichenheit - so wie die Charaktere dieser Oper. Sie sind bei Schloemer, und auch das unterscheidet seine "Cosi" von vielen anderen, genau definiert, sinnstiftende Stereotype in einer unheilvollen Verkettung miteinander verbunden.
Aus der schönen Not, daß seine Fiordiligi schwanger ist, macht Schloemer eine Tugend. Erst in Erwartung ist die Zurückhaltung der zweifelnden Schwester zu verstehen, den eigenen Mann gegen einen neuen einzutauschen. Sie stützt den Bauch, stöhnt vor Wehen, sucht einen Vater, wankt, ob der Soldatenmann auf dem fernen Schlachtfeld als solcher taugt. Und sie findet: Ferrando. Er ist ein papagenohafter Spaßvogel, ein Gute-Laune-Mensch, ein Kindskopf. Nur durch seine liebevollen Späße kann er Fiordilligi am Ende doch zur Heirat bewegen.
Kein Wunder, denn ihr eigentlicher Mann, Guglielmo, ist eine Art Latin Lover, ein eitler, selbstüberzeugter Hedonist, ein kleiner Don Giovanni, der bei der mädchen- und flatterhaften Dorobella leichtes Spiel hat. Schloemer inszeniert diese kreisrunde Vierecks-Konstellation mit gekonntem Humor, verfällt nie in Kalauer, bleibt immer streng.
Da finden die halbherzigen Suizid-Versuche mit klappbaren Theatermessern statt, da waschen die Weiber ihre Wäsche, mit denen sich die Männer, nachdem sie sich ertränken wollen (rein zufällig, versteht sich) die Gesichter abtrocknen, da werden gigantisch goldene Bilderrahmen aufgestellt mit den Porträts der Geliebten - die Konterfeis werden herausgeschnitten, aufgerollt, zusammengeknüllt, verbrannt und gegen die singenden, neuen Originale ersetzt.
Natürlich ist auch bei Schloemer Don Alfonso der eigentliche rotweinsüchtige Strippenzieher, der am Ende nicht von den Liebenden, denen er eine zynische, amouröse Schullektion erteilt, sondern vom Volk verprügelt wird. Und da ist die geldgierige Dorobella, die strenge Hausfrau, die sich gern die Freiheit zur Eskapade nimmt, als Ärztin mit silbernem Kreuz und Weihrauch oder als Notarin mit Mikrofon und Steppschuhen auftritt. So humorvoll der Abend, so abgrundtief sein Finale.
Die Revolution zieht ein: Das Volk rafft die Requisiten zusammen, die Frauen ohrfeigen die Männer oder treten ihnen ins Gemächt - ihre Untreue ist nur eine Konsequenz aus dem Verdacht der Kerle, der Betrug eine Reaktion auf den betrügerischen Plan, die Frauen zu testen.
Die Liebe kommt dieser Welt abhanden, obwohl wir bis zum Ende eigentlich nur Liebende auf der Bühne sehen - die Liebe stirbt zuletzt, meist erst nach der Partnerschaft. So ist er, der Mensch.
[...]
Kurzweiliger war diese lange Oper selten zu sehen. Nicht schlecht, wenn es ein Abend wie dieser ist, auf den die Außerirdischen irgendwann stoßen werden, wenn sie wissen wollen was das für Wesen waren, diese Menschen.

Axel Brüggemann