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Main-Spitze, 8. Oktober 2005

Chor im Graben und im Saal
Luciano Berios Anti-Oper "Passagio" im Mannheimer Nationaltheater

Luciano Berios "Passagio" beschreibt einen modernen Kreuzweg. Die Frau leidet unter verschiedenen Arten der Gewalteinwirkung, sie wird verhaftet, gefoltert und verkauft. Während aus dem "Publikum" die fiktiven oder vom Opfer selbst erzählten Misshandlungen gutgeheißen und legitimiert werden ("Denn in uns ist die Ordnung"), ergreift der Chor im Graben Partei für sie oder übernimmt den Erzählpart. Sie werden mit der namenlosen "Sie" ein gemeinsames Ich.

Die eigentlich lyrische Sopranistin Deborah Lynn Cole nimmt sich ihrer Rolle in gewinnbringender Art an. Dass sie sich nicht der Verlockung hingibt, in großen Übertreibungen zu leiden, ist ihr und Joachim Schloemer, dem Regisseur dieser deutschen Erstaufführung, hoch anzurechnen. Es sind ihre klaren mimischen und gestischen Ausformungen, die sie authentisch wirken lassen.

Die schwarze Bühne von Jens Kilian ist von Andreas Grüther mit kaltem Neonlicht ausgeleuchtet, ein Effekt, den die neue Generalintendantin Regula Gerber später als Gegensatz zur musikalischen Farbigkeit Berios deutet. Die wird vom ebenfalls neuen Generalmusikdirektor Frédéric Chaslin und einem geschrumpften Orchester präzise wiedergegeben. Von Regula Gerber stammt auch das Wort von der "zeitgenössischen Musik als Genuss". Und sie hat Recht.

Daniel Honsack