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Der Südkurier, 11. Januar 2010

Elfriede Jelineks "Die Kontrakte des Kaufmanns" in Freiburg

Warum ist da bloß niemand früher draufgekommen? Die ganze Finanzkrise mitsamt ihren Folgen, sie ist eigentlich schon in der Sprache, in den Wörtern, die mit dieser ganzen Bankerei zu tun haben, angelegt. Man muss nur genau hineinhören. Elfriede Jelinek, die Literaturnobelpreisträgerin, hat das getan. Bei jeder einzelnen, dieser verführerischen Vokabeln, mit denen so genannte Finanzberater ihre Oper in die Falle lockten, hört und denkt Jelinek bereits die warnende Wahrheit mit. So muss man bei der "Schuldverschreibung" doch nur die "Schuld" herausmeißeln, die eindeutig beim Unterzeichner liegt. Wer hart arbeitet, der nimmt ab. Das weiß eigentlich jeder. Und wenn die Banken werben "Lassen Sie Ihr Geld arbeiten", hätten wir uns doch denken können, dass unserem Kapitälchen Magersucht droht.

Doch nach der Krise ist nicht vor der Krise, und Elfriede Jelinek war mit ihrem Stück zwar rasend schnell und eine der ersten Theaterautoren, die das Thema ins grelle Scheinwerferlicht der Schauspielbühnen zerrte, aber dennoch bleibt auch ihr statt des Vorbeugens nur das Nachtreten. Und dennoch haben jetzt fast alle Freude an diesem Stück. Die, die Geld verloren haben, genießen den Galgenhumor als Trost, die anderen ergötzen sich an ihrer Schadenfreude. "Das Geld ist nicht alles, aber das Geld ist alle". Wer die Krise und ihre Macher kabarettistisch geißelt, hat stets die Lacher auf seiner Seite.

So auch am Theater Freiburg, wo der Choreograf Joachim Schloemer Jelineks ursprünglich vierstündiges Textmonstrum in schlanken, eleganten 90 Minuten im wortwörtlichen Sinn mit fünf Schauspielern "verkörperte". Was macht man mit einem Stück, das gar keines ist, sondern nur Text, ohne Personen und Handlung? Man skandiert und deklamiert im Chor, lässt miteinander und gegeneinander sprechen, flüstern und schreien, sich rhythmisch bewegen, stampfen und klatschen. Wenn dann noch der Regisseur, wie im Falle Schloemer ein virtuoser Personenbeweger ist und Jelineks Text in seiner kunstvollen Banalität der Wirtschaftskrise mit all ihren arroganten Börsenaffen eine lange Nase dreht, dann ist das ein vergnüglicher Abend. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Wir hören das Investment-Kauderwelsch, von dem wir heute wissen, dass es nicht nur der Kunde, sondern offenbar auch der inhaltsleer nachplappernde Berater nicht verstanden hat. In allen Einzelheiten bereitet es die Jelinek vor uns aus, reißt Wortfetzen bis zur Kenntlichkeit aus ihrem Zusammenhang. Die Sprache bringt es an den Tag. "Weh, weh, weh" werden sie, wie in der griechischen Tragödie rufen, die geprellten Anleger, wenn sie sich im weltweiten Finanznetz verheddert haben.

Kalauer und andere Plattitüden kommen da gerade recht, um es in diesem Textfeuerwerk so richtig krachen zu lassen, etwa wenn der Erlös als Erlösung des Kunden von seinem Geld, die Ersparnis als Hoffnung, die man sich sparen kann und der nicht vorhandene Ertrag dem Kunden kaum noch erträglich erscheint, vor allem wenn das tote Kapital nicht wieder auferstehen will oder sich lieber am Ballermann vergnügt. Wie schon in ihren früheren, zu Unrecht als pornografisch verschrienen Texten will Jelinek auch hier Ekel und Abscheu erzeugen, in dem sie das Absurd-Obszöne dieser Schein- und Parallelwelt der Börsen gnadenlos entblößt.

Und Schloemer, der in einem Interview bekannt hatte, selbst viel Geld gewonnen zu haben und noch mehr wieder verloren hatte, schenkt seiner kleinen Truppe nichts. In börsenhektischem Tempo hetzt er die Schauspieler über den halsbrecherischen Textparcours, der fairerweise an der Rückwand des Ranges projiziert wird, weil damit selbst die versierteste Souffleuse überfordert wäre. Dem Taumel der Worte gibt er noch die ästhetische Bewegungsenergie der Körper hinzu, maschinenartig, staccato, zackig, abgehackt, harmonielos - ganz so, wie in der Finanzwelt eben. Dazwischen auch hinreißende Bilder, wie etwa die mit heruntergelassenen Hosen getrippelte Polonäse Blankenese. Viel Beifall für Schloemer und seine tapfere Truppe mit Johanna Eiworth, Rebecca Klingenberg, Mathias Lodd, Matthias Redlhammer und Nicola Schößler.

Wolfgang Bager