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Badische Zeitung, 10. Januar 2010

Das Geld und das Nichts
Joachim Schloemer inszeniert Elfriede Jelineks Wirtschaftskomödie "Die Kontrakte des Kaufmanns" am Theater in Freiburg. Ein Tsunami der Sprache stürzt dabei über einen herein.

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In ihrer Wirtschaftskomödie "Die Kontrakte des Kaufmanns", die nach einer "Urlesung" in Wien und der viereinhalbstündigen Uraufführung in Köln [...] ihre zweite deutsche Inszenierung erlebt, sprechen: die Bank, die Investmentgesellschaft, die Kapitalverwalter, die von Vermehrern zu Vernichtern - und, auf der anderen Seite, die Kleinanleger, die von Profiteuren des Systems zu Verlierern wurden. Ausgangspunkt für Elfriede Jelineks jüngste Sprachausschweifung - auf dem Papier 99 absatzlose Seiten - war ein österreichischer Kleinanlegerbetrugsskandal, der, was auch die Literaturnobelpreisträgerin nicht ahnen konnte, zum grotesken Präludium der Weltfinanzkrise wurde.

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In nur vier Wochen Probenzeit hat der Choreograph und Regisseur, der wie kaum ein anderer vor Genregrenzen nicht zurückschreckt, in Zusammenarbeit mit dem Dramaturgen Josef Mackert den Text auseinander genommen und ein Drittel davon in 27 Kapiteln wieder zusammengesetzt - ganz nach dem Wunsch der Autorin, die den Regisseuren großmütig freie Hand lässt - und mit Unterstützung der Stimm- und Sprechtrainerin Dorothea Gädecke das fünfköpfige Ensemble der Produktion zu einem tanzenden Chor im uniformen schwarzen Anzug (Kostüme: Jens Kilian) geformt. Vor jeder Aufführung wird die Reihenfolge der einzelnen Abschnitte neu ausgelost - auch deswegen läuft auf einer großen Leinwand im ersten Rang, für die meisten Zuschauer unsichtbar, der Text mit.

Das spricht für sich: Denn Schloemer, der auf Musik wie (weitgehend) auf Requisiten verzichtet, setzt alles auf eine Karte: den Sound und den Rhythmus von Jelineks Sprache, die atem- und haltlos über einem herein- und über einen hinwegstürzt, als gäbe es in ihr keinen Punkt und kein Komma, keine Ruhe und keine Pause; ein Tsunami, so unübersehbar und undurchschaubar wie die Geldströme, die so lange durch das labyrinthische Netz der Finanzkanäle geflossen sind, bis nichts mehr übrig war.

Aus dieser vielleicht doch nicht so geheimnisvollen Alchimie von Sein in Nichts macht Schloemer im Verein mit der Virtuosin des Nichts Elfriede Jelinek das Zentrum seiner Inszenierung. Das Geld und das Nichts: Vor den Schimären der Finanzwirtschaft könnte nur ein Gott uns retten, doch der ist so unsichtbar wie die Hand, die statt alles zum Besten zu regeln mit Hilfe eines Schneeballsystems gierig nur immer in die eigenen Taschen schaufelt. Das Kapital, das wir Kleinanleger den Großanlegern anvertrauen, ist - bei Jelinek - jedenfalls auf einmal weg: Hat sich buchstäblich verdünnisiert, brav abgenommen: "Ihr Geld arbeitet jetzt für uns". Ja, wenn es so ist, können wir ja ganz beruhigt sein; uns ist die Sorge abgenommen, und unserm Kapital geht's auch viel besser: Es ist nicht mehr allein, liegt auf einer Insel und cremt sich mit Zinsen ein.

Es ist der böse Witz solcher Wendungen, die diesen Text auszeichnen. Und es ist Johanna Eiworth, Rebecca Klingenberg, Mathias Lodd, Matthias Redlhammer und Nicola Schößler ein großes Kompliment für das geschmeidige Spielen auf und mit dieser Textmaschine zu machen - zumal ihnen die Regie mitunter dabei auch noch recht komplizierte Bewegungsmuster abverlangt. [...] Aus der Not kann man aber immer eine Tugend machen. Kompaktes Krisenmanagement im Großen Haus: Bei uns wird nicht geschlafen. Elfriede Jelinek und den fünf famosen Verwaltern ihres Kapitals sei Dank.

Bettina Schulte