- 29. Oktober 2001
Die Welt
Tanzfest im Folkwang: 15 Tänzer, 15 Sekunden - 29. Oktober 2001
Neue Ruhr Zeitung
Zeitstrom unter Hochspannung - 30. Oktober 2001
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Was man in 15 Sekunden alles machen kann - 31. Oktober 2001
Neue Zürcher Zeitung
Mehr Tanz - 1. November 2001
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Nach der Uhr, oder wie? Nach Gefühl
Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 30. Oktober 2001
Was man in 15 Sekunden alles machen kann
J. Schloemers neues Tanzstück in Essen
Joachim Schömer ist einer der profiliertesten Choreografen. Für das Essener Folkwang-Fest schuf der frühere Leiter des Tanztheaters Basel ein Stück, das den Tanz an den Wurzeln packt und bis zu seinen Grenzen treibt.
Spätestens seit Pina Bausch hat es sich eingebürgert, dass Tanztheater ein Ort diffuser Deutungen geworden ist. Auch Schloemers "In fifteen seconds" gibt sich zunächst hoffnungslos kryptisch. "Mit einer Stoppuhr Begebenheiten messen. Mit der Kreide Begebenheiten markieren. Begebenheiten in eine analoge Abfolge stellen." Nur drei spärliche Zeilen erfährt der Zuschauer zum Inhalt. Es geht also um Begebenheiten. Wie der Titel nahelegt, wohl auch um Zeit.
Ungefähr in der Mitte hält das 90-Minuten-Stück inne. Jeder der 26 Tänzer gibt einen Vorschlag ab, wozu 15 Sekunden ausreichen können: sein Leben zu ändern, eine Zigarette zu rollen oder zehn Namen von Personen zu nennen, die man seit 15 Jahren nicht mehr gesehen hat. Man ahnt: Es geht um die Relativität von Zeit.
Dazu passen die Überlagerungen des Geschehens. Schloemer gelingen mit seiner aus eigenen Tänzern und Folkwang-Studenten gebildeten Compagnie ungemein dichte Bilder und berührende Momente, die sich auf der Bühne des Choreographischen Zentrums mit großer Kraft und hinreißender Intensität entwickeln. Dem raschen Wechsel von kontrapunktischen, homophonen und solistischen Szenen entspricht die kontrastreiche Musikauswahl. In Max Küngs Arrangement treffen Klassik, Heavy Metal, Pop, Techno und Neue Musik ungebremst aufeinander.
Vieldeutig auch die Bühne von Jens Kilian: Eine sterile Decke wölbt sich in gewaltigem Schwung kalt und ablehnend dem Zuschauerraum entgegen. Fürs aufrüttelnde Finale lässt Schloemer in raumgreifenden Schritten zur beängstigenden Musik Wolfgang Rihms marschieren. Zeitgemäßer kann Tanz heute wohl kaum sein.
Michael Kohlstadt