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www.gf-kuehn.de, 5 December 2004

Akt auf dem Küchenstuhl
Joachim Schloemer inszeniert Tristan und Isolde

"Warm" wird man hier lange nicht, und soll es auch nicht werden. Es ist ein Tristan des Minimalismus. Und die vielen Toten am Ende - sie verweigern ihr Totsein, stehen als Untote einfach wieder auf. Isolde lassen sie mit ihrem Versinken, Ertrinken allein, sodass die sich ungläubig umschauen muss im Saal.
Arg karg beginnt es. Schon im Vorspiel tapern die Beteiligten aufs Proszenium, stellen sich wie Salzsäulen auf. Ein kleines Mädchen - es entpuppt sich später als Morolds Spionin und Petze - schaut sich alle genau an. Die Bühne ist verhängt mit einem halbtransparenten Tuch. Dort kann man das Vorspiel auch "sehen". Per Video wird das Orchester darauf projiziert. Der Steuermann singt im Regen seine Ballade von Wind und Wetter dahinter auf einem Podest als Schatten wie ein Giovanni-Komtur. Etwas eng geht's dann vorn zu, fast den ganzen ersten Akt. Brangäne und Kurwenal, die Diener, müssen ihre Meldungen bei der anderen Partei jeweils machen, indem sie unter dem Vorhang hindurch schlupfen. Isolde lebt ganz ihrer Erinnerung an den getöteten Geliebten Morold, den sie als Statuette aus der Wand kratzt. Den "furchtbaren" oder vielleicht hier "fruchtbaren" Trank ritzt sie mit einem rasiermesserscharfen Amulett aus Brangänes Vene. Und, wie die Massai stärkendes Stierblut, trinken Tristan und Isolde von diesem traditions-"positiven" Blut aus Brangänes Arm.
Für den zweiten Akt öffnet Regisseur und Choreograf Joachim Schloemer, der hier auch sein eigener Bühnenbildner ist, den Raum: nackt, nachtschwarz und bloß ist der. Nur ein Spiegel mit Kamera dahinter wie eine Art Bluttransfusionsstelle steht dort und ein Küchenstuhl. Ihren Liebesakt gestalten Tristan und Isolde auf eben diesem Stuhl, durch eine graue Decke medusenartig verwachsen zum Klimt-Paar. Zum Liebestod setzen sie sich vorn auf Kante, lassen die Beine baumeln über dem Orchestergraben. Aber nicht nur Brangäne "wacht". Auch Morolds Spionin-Töchterlein schleicht sich unter der nach hinten abtrennenden Wand herein und petzt dann alles dem Papa. Der kommt auch sogleich, alles zur Seite rempelnd, mit dem Chef. Marke stellt sich für seine markante Durchsage auf den Küchenstuhl. Den Ring, den der König Isolde trotzdem noch über den Finger zwingen will, gibt Tristan wieder zurück. Und seine Wunde bringt er mit dem Amulett auch sich selber bei. Nur keine falschen Abhängigkeiten, nur keine Sentimentalitäten!
Auch für Tristans Sterben hält Schloemer nur einen Stuhl als Krankenlager bereit. Ein paar Gummistiefel stehen noch herum für die eventuelle Anlandung von Isolde. Doch die Wasserwelle - ganz bildlich direkt als Klabautermann mit Rolle vor- und rückwärts - spuckt sie lange nicht aus. Und als Isolde dann endlich kommt, folgen auch gleich noch ihr Double Brangäne und der König. Marke, als er die Exbraut Isolde definitiv im Liebeswahn versinken sieht, hübscht umstandslos deren Dienerin mit deren Accessoires auf: zieht ihr die rot gelockte Perücke, den silbernen ISO-Mantel und das Amulett um. Nicht nur die latente Homosexualität der beiden Herren-Diener-Paare wird von Schloemer so noch einmal akzentuiert. Sondern auch, dass Brangäne die eigentliche Lenkerin der Geschicke ist. Aus ihrem starken Arm tranken Isolde und Tristan den vermeintlichen Todestrank. Ein Naturereignis ist die Liebe von Tristan und Isolde also nicht.
Sehr dicht und mit sich steigernder Stringenz ist das alles erzählt. Und Schloemer hat dafür auch hervorragende Sängerdarsteller zur Verfügung. Zumal die Isolde von Barbara Schneider-Hofstetter kann bei diesem Rollendebüt mit ihrer kraftvoll strahlenden, vielleicht in den lyrischen Partien nur etwas schwächeren Stimme überzeugen. Mühelos hält sie die Spannung bis zu ihrem Schlussgesang. Louis Gentile als Tristan hat damit doch etwas Probleme. Aber körpersprachlich ist er, zumal in der Darstellung des kranken Tristan, höchst präsent. Großartig auch die beiden Diener: Veronika Waldner ist eine stets aufmerksame Brangäne, Shigeo Ishino ein kraftvoll dazwischen gehender Kurwenal. Xiaoliang Li gibt den resolut wütenden König, Oliver Zwarg den immer schlagbereiten Bodyguard Melot. Shao-Chia Lü am Pult beginnt mit etwas überdehnten Tempi, unterläuft so eher die Kargheit der Bühne. Auch die Feinheiten der Wagnerschen Partitur darf man sich hier nicht erwarten. Insgesamt präsentiert sich das Hannoveraner Haus aber mit diesem Tristan in einer frisch aufgeräumten Façon.
Das Publikum mochte diese (sehr Kosten sparende) Variante der Wagnerschen "Handlung" freilich nicht so ganz goutieren. Es buhte kräftig gegen Schloemer und sein Team. Der Sog, den diese Aufführung zumal ab dem zweiten Akt entwickelt, ist aber beträchtlich. Erstaunlich bei diesem so handlungsarmen Stück.

Georg-Friedrich Kühn