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Göttinger Tagblatt, 16 April 2018

Mit erbarmungsloser Härte

»Schloemer kommt vom Tanz, hat eine Ausbildung als Tänzer und Choreograf. Doch für das Schauspiel brennt er gleichermaßen. Deshalb ist seine Göttinger ›Tosca‹ auch immer wieder von Tanzszenen durchsetzt ... Die haben eine ähnliche Funktion wie die Arie in der barocken Oper: Die Handlung bleibt stehen, dafür wird die Emotion ausgelotet ... Genau so funktionieren die Tänze in ›Tosca‹. Aggression wird da deutlich, Verletzung, Gewalt, ganz unmittelbar und bildkräftig.
Die Handlung spielt sich so ab, wie wir sie aus Puccinis Oper kennen ... Im Unterschied zu Puccinis Oper wird im Theaterstück ›Tosca‹ die Gewalt nicht von hochromantisch-süffigen musikalischen Harmonien überlagert und dadurch gleichsam genussfähig, sondern äußert sich erbarmungslos in all ihrer Härte. Das geschieht in Schloemers Inszenierung ohne irgendein plakatives Vorzeigen, mit wenig Theaterblut, ohne billige Effekte ... Die beiden Protagonisten sind mit Rebecca Klingenberg (Tosca) und Volker Muthmann (Mario Cavaradossi) hervorragend besetzt. Klingenberg spielt die Tosca ausgesprochen selbstbewusst, überraschend eckig, dadurch besonders scharf konturiert. Muthmann gibt den mit der Revolution sympathisierenden Maler beinahe etwas naiv: die Gefahr, die ihm durch dieses Regime droht, scheint er anfangs zu unterschätzen. Dafür macht Gerd Zinck als Polizeichef Scarpia sehr schnell klar, wer die Macht hat – dass auch er am Ende Opfer dieses Regimes wird, macht die Abgefeimtheit der Strippenzieher umso deutlicher. Dorothée Neff mischt in der Rolle der Königin Marie-Caroline von Neapel verspielte Kindlichkeit mit der durchaus glaubhaft dargestellten Autorität ihrer Stellung: Das ist schauspielerisch beinahe eine Gratwanderung, die Neff staunenswert bewältigt. Die weiteren Helfershelfer des Schurkenstaats – Gabriel von Berlepsch als Chefinquisitor Caraffa und Florian Donath als Polizeiagent Spoletta – sind angemessen finster. Moritz Schulze als Revolutionär Angelotti ist zwar Dreh- und Angelpunkt der Handlung, kann aber, weil er auf der Flucht ist und sich deshalb ständig verstecken muss, seiner Rolle nur wenig Profil geben ... Die drei Musiker – Gitarrist und musikalischer Leiter Michael Frei, Hans Kaul an Keyboard und Ukulele sowie Manfred von der Emde an Schlagzeug und Bass – begleiten die Tanzszenen mit rhythmischer Urgewalt und streuen wenige, aber deshalb umso wirkungsvollere Puccini-Zitate ein. Übrigens sind Klingenberg und Muthmann in ihren Gesangseinlagen mit originalen Puccini-Melodien musikalisch erstaunlich sicher und sehr ausdrucksstark, das ist keineswegs selbstverständlich. Das Publikum ließ sich mehr und mehr von diesem derart konsequent geführten Spiel gefangen nehmen. Am Ende gab es lang anhaltenden Beifall, untermischt mit Bravorufen für den Regisseur.

Michael Schäfer