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Wiener Zeitung, 20 May 2003

Wenn Stimmakrobaten auf verlorenem Posten stehen
Ronacher: Uraufführung von Wolfgang Mitterers "Massacre"

Im Ronacher wurde am Sonntag die Oper "Massacre" des österreichischen Komponisten Wolfgang Mitterer (45) uraufgeführt. Ein Auftragswerk der Wiener Festwochen in Zusammenarbeit mit der Wiener Taschenoper. Ein zwiespältiger Abend.
Das Libretto von "Massacre" (warum eigentlich in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln?) von Wolfgang Mitterer und Stephan Müller ist frei nach Christopher Marlowe gestaltet. Literarische Basis ist die legendäre "Bartholomäusnacht" von Paris: In der Nacht vom 23. auf den 24. August 1572 wurden in Paris unzählige Hugenotten (französische Protestanten) ermordet.
Keine Frage, dass dieser Stoff über (religiösen) Fanatismus, Rache, Macht und Machtstrukturen gerade in unserer Zeit von beängstigender Aktualität ist. Dass die Mitterer-Oper dennoch kalt lässt, nicht berührt, ist einerseits schade, hat aber anderseits seine guten Gründe. Da ist einmal das Libretto, das alles andere als zwingend ist und gewaltige dramaturgische Schwachpunkte aufweist, die auch durch die englische Sprache nicht aufgeweicht werden können.
Und da ist die Musik von Wolfgang Mitterer, die im Ansatzpunkt so übel gar nicht ist (weil sie manch interessante Klänge bietet), aber die eineinhalb Stunden halt nicht mit der nötigen Substanz und Abwechslung füllen kann. Dass sie gelegentlich die Schmerzgrenze des Zuhörers überschreitet, würde noch am wenigsten stören. Mitterers geschickte Collage aus neun traditionellen Instrumenten und viel Elektronik, in die auch verfremdete Tierstimmen eingeflochten sind, ist gewiss originell und effektvoll, nützt sich aber rasch ab und wirkt letztlich steril. Den Sängern mutet Mitterer wahrlich unmenschliche Stimmakrobatik zu - aber sie stehen aus den vorerwähnten Gründen leider auf verlorenem Posten.
Die musikalische Leitung liegt in Händen von Peter Rundel, der sich der komplexen Partitur, die den Sängern - Gott Lob - wenigstens einige Freiheiten gestattet, mit absoluter Hingabe und Kompetenz widmet und seine souveränen Mitstreiter fest im Griff hat. Für die Regie und Choreografie zeichnet der vom Tanz her kommende Joachim Schloemer verantwortlich. Er hat wahrlich sehr choreografisch inszeniert, ist auf Tempo bedacht und hat einige zwingende Metaphern für das lange und zelebrierte Sterben zu bieten. Aber sehr viel Klarheit schafft das auch nicht - die Ratlosigkeit des sehr geforderten Publikums wird nicht kleiner.
Sparsam - aber absolut zweckentsprechend - hat Ausstatterin Katrin Brack das Bühnenbild gestaltet: Sie findet mit sieben riesigen Kerzen (die zuerst angezündet und dann ausgelöscht werden) das Auslangen.
Ein Sonderlob gebührt den durchwegs famosen Sängern: Annette Stricker (Catherine), Katia Plaschka (Duchesse), Bettina Pahn (Navarra), dem überaus profunden Georg Nigl (Guise) und dem aufregenden Countertenor Aexander Plust (Henry).
Schade, dass Wolfgang Mitterer aus diesem Stoff keine zwingendere Oper geschafft hat. Vielleicht hätte er sich eines anderen Librettisten bedienen sollen. Vielleicht aber liegt es auch daran, dass Mitterer an die Kunstform Oper nicht so recht zu glauben scheint. In einem Interview sagte er jedenfalls, dass es ihm genüge, wenn diese Oper zehnmal gespielt und dann wieder vergessen wird. Ich frage mich nur, warum er dann eine Oper schreibt.
Das Uraufführungspublikum feierte nach eineinhalb schwierigen und anstrengenden Stunden die grandiosen Sänger mit großer Herzlichkeit, für das Leading Team gab es allerdings auch Buhrufe.

H. G. Pribil