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Der Kurier, 20 May 2003

Eine Oper als beklemmender Totentanz
Wolfgang Mitterers "massacre" wurde bei den Festwochen im Ronacher uraufgeführt

Diese Produktion der Wiener Festwochen tut weh.
Sie tut so weh, wie Festspiele (neben vielen anderen zu erfüllenden Funktionen) auch weh tun dürfen und manchmal sogar müssen. Sie fordert den Zuhörer aufs Äußerste und schmerzt vom ersten Moment an - aber nicht in einer Art, dass man nach Oropax oder nach der Augenbinde greifen will, sondern glaubt, den Schmerz in Hinblick auf die Katharsis durchleiden zu müssen. Und nach 90 Minuten ist man wie bei einem Psychothriller heilfroh, dass es vorbei ist und dass man durchgehalten hat.
Aber was ist nun dieses Geheimnisvolle, dieses Spannende, an das sich die Festwochen hier gewagt haben? Eine Uraufführung namens "massacre", sogar ein Auftragswerk (gemeinsam mit der Wiener Taschenoper), die erste abendfüllende Oper des Tiroler Komponisten Wolfgang Mitterer nach einer Geschichte voller Grauen.
Mitterer hat nicht nur musikalisch, sondern auch als Librettist (gemeinsam mit Stephan Müller) die Ereignisse der Bartholomäusnacht von 1572, also das Massaker der Katholiken an den Hugenotten, verarbeitet. Frei nach Christopher Marlowes "Massacre in Paris". Nun muss man weder Historiker sein, noch über Marlowe dissertiert haben, um rasch zu verstehen, worum es Mitterer und seinem kongenialen Regisseur Joachim Schloemer geht. Die beiden zeigen neben religiösem Fanatismus Gewalt in allen Facetten, zeigen, wie eng verwandt Gewalt und Sexualität sind, wie benachbart menschliche und animalische Triebe, wie blinder Hass entsteht, wie schwer die Unterscheidung zwischen Tätern und Opfern oft fällt (bzw. wie schnell sich die Rollenbilder umkehren können).
All das zeigen sie in einem zeitlosen Raum, mit einer minimalistischen Bühnendekoration (nur sieben riesige Kerzen). In der Inszenierung des Choreographen Schloemer gibt es auch Tänzer, die von ihm ebenso exzellent geführt werden wie die Sänger. Der beklemmende Totentanz besitzt sogar Anflüge von Ironie. Grandios eines der letzten Bilder, in dem eine Hauptfigur (der ausgezeichnete Georg Nigl) mit weißer Farbe übermalt wird und zum eigenen Denkmal erstarrt.
Mitterer kombiniert verschiedene Kompositionstechniken, zitiert aus alten Klangkulturen (etwa mit barockem Cembalo), legt musikalische Ebenen über einander, setzt Computer und Gesangsverstärker ein, dann wieder ariose Elemente, die auch schmerzhaft verfremdet sind. Damit erreicht er eine faszinierend lineare Steigerung der Dramatik, die sich plötzlich in Stille auflöst und dann wie bei einem Luftangriff Panik erzeugt. Eine kluge, postmoderne Umsetzung der Thematik.
Peter Rundel dirigiert im Ronacher neun Livemusiker (darunter drei Jazzer) und sorgt für eine präzise Umsetzung der Partitur. Das Sängerensemble, aus dem außer Nigl noch der Altist Alexander Plust herausragt, ist tapfer und folgt Schloemer bei seinen kühnsten Vorstellungen.
Möglich, dass dieses Werk ebenso schnell von den Spielplänen verschwindet wie die meisten zeitgenössischen Opern. Immerhin haben es die Festwochen aber zur Diskussion gestellt und damit einen mutigen Schritt gesetzt.

Gert Korentschnig