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Salzburger Nachrichten, 3 November 2003

Albträume in Albräumen
Stürmischer Jubel für Olga Neuwirths Oper "Lost Highway" bei der Uraufführung im Rahmen des "steirischen herbst" in der Grazer List-Halle.

Kann man einen Film vertonen? Ihn zur Oper machen? Noch dazu einen Film wie David Lynchs "Lost Highway"? Kann man - sich der Sogwirkung der bewegten Bilder entziehend - der Musik ihr Eigenleben bewahren und aus dem Kopfbilder schaffenden Leinwand-Opus ein Musiktheater-Stück destillieren? Und kann das den Kopf mit ebenso eindringlichen Klangbildern füllen?
Olga Neuwirth kann. Und wüsste man nicht um die Mühen des Komponierens, man möchte sagen: Sie kann's mit leichter Hand. Leicht und doch suggestivbedrohlich kommt ihre Musik zu "Lost Highway" nämlich daher.
Neben der vorzüglichen musikalischen Aufbereitung durch das Klangforum Wien unter Johannes Kalitzke (und mit der elektronischen Unterstützung durch IEM Graz) haben dazu zwei andere Ingredienzien beigetragen: Das von der Komponistin und Elfriede Jelinek auf der Basis des Filmdrehbuchs verfasste konzise Libretto und die eingreifende Fantasie des Regisseurs.
Joachim Schloemer hat die ungemein genauen szenischen Umsetzungsvorschriften gleichsam umgeschrieben und dem Stück eigene und teils wohl auch gegen die Ur-Intentionen der Komponistin sich behauptende Qualität zurückerobert: Was als kontinuierliche Verwischung der Grenzen zwischen Realität und Fiktion angelegt war, kann dank Schloemer wieder als "Geschichte" begriffen werden. Zugleich wird der Musik die tragende Rolle als Erzählmedium gegeben.Das Publikum wird in die Handlung mit hineingesogen durch Verräumlichung des Klanges: Neuwirth arbeitet mit dem Mittel raffinierter und eleganter elektronischer Verfremdung und Verstärkung. Sie schafft virtuelle Räume - Alb-Räume. Sie lässt verstörende Geräusche durch den Raum spuken, die reale Melodiepartikel zerstäuben, mit bedrohlichen Untertönen versehen und in einer unendlichen Abfolge von Loops umspielen.
Das ist raffiniert und geradezu verführerisch gemacht, hat aber auch einen starken Anflug von Glätte und - wüsste man nicht um die komplexe Struktur - verspielter Oberflächlichkeit. Und wäre der Komponistin nicht Schloemer zu Hilfe geeilt, wer weiß, wie die Videoseligkeit geendet hätte.
Im abstrakten, dunklen und beweglichen Bühnenbild von Jens Kilian schält sich rasch ein bedrohlich den Raum nach oben begrenzender T-Eisen-Träger heraus: Er fokussiert den Blick des Zuschauers und hält die repetitiven Bewegungen der Rollwagen leicht, die auf der untersten Ebene Gestalten heraus- und wieder davonkatapultieren.
Während im ersten Teil der Handlung - vor der Verwandlung des Jazzmusikers Fred in Pete - nur gesprochen wird, steigert sich die musikalische Intensität im zweiten Abschnitt bis zum quasibarocken Koloraturgesang, der die dominierenden musicalhaften Floskeln konterkariert. Auch hier greift Schloemer ein, indem er - der musikalischen Verdichtung Rechnung tragend - als reale Handlung zeigt, was im Film und im Libretto Fiktion ist. Zum Höhepunkt gerät der virtuose erste Auftritt von David Moss als Mr. Eddie: Statt der im Libretto vorgesehenen Videoeinspielungen von Autorennen zeigt der Regisseur die akrobatischen Zuckungen eines von Mr. Eddie Zusammengeschlagenen, die den musikalischen Sarkasmus der Szene unterstreichen.

Derek Weber