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Regie Joachim Schloemer Musikalische Leitung Jean-Claude Malgoire Bühne Katrin Brack Kostüme Katrin Brack Dramaturgie Juliane Votteler Licht David Finn Chor Johannes Knecht Besetzung Irena Bespalovaite, Kobie van Rensburg, Jacquelyn Familant, Helene Ranada, Frédérique Sizaret, Helmut Berger-Tuna, Bespalovaite, Marek Gasztecki, Rudolf Rosen, Daniel Ohlmann, Frédérique Sizaret, Roderic Keating, Christoph Sökler, Heike Beckmann, Karin Horvat, Saša Vrabac, Johannes Wieczorek, Thomas Hahn, Ulrich Frisch, Jasna Vinovrski

Die Geschichte von Orpheus, dem Sänger, der wilde Tiere, die Wellen des Meeres und die Stürme besänftigte und zu dem selbst die Bäume eilten, um ihm zu lauschen, ist, nach den Vorlagen von Ovid und Vergil, eine der beliebtesten am Beginn der Gattung Oper. Der Stoff fiel nicht unter das Verdikt heidnischen Aberglaubens, er bot sogar Anlaß, Parallelen zum christlichen Liebesbegriff einzuräumen: Orpheus, der so inbrünstig singt, dass sich ihm alles unterwirft, ist natürlich auch das Sinnbild der Musik und des sich am Ende des 16. Jahrhunderts emanzipierenden Gesanges, der nicht mehr nur in klerikalen Zusammenhängen Raum findet, sondern mit dessen Mitteln Geschichten szenisch erzählt werden. Der singende Mensch betritt die Bühne, und was liegt näher, als diesen revolutionären Vorgang mit der Geschichte des Sängers schlechthin zu beginnen?
Orpheus ist uns aus den antiken Quellen als ein Held bekannt, der die Argonauten auf ihrer Fahrt begleitet, auf welcher Jason das goldene Vlies erbeuten wird und die wiederum Ausgang vieler anderer Mythen ist. Monteverdis Oper setzt nun aber nicht hier an, sondern erzählt sein späteres Schicksal: Orpheus hatte sich in Eurydike verliebt und um sie geworben. Unklar bleibt, welche Hindernisse sich dieser Leidenschaft in den Weg stellten. Als sich die Szene öffnet, feiern jedenfalls Hirten und Nymphen bereits die bevorstehende Hochzeit. Doch jäh wird das erzählte Glück zerstört: Eurydike, von einer Schlange gebissen, stirbt, und Orpheus verfällt in Klage. Er nimmt das Schicksal nicht hin, sondern steigt, geleitet von La Speranza, der Hoffnung, zum Styx, wo es ihm gelingt Charon, den Fährmann über den Unterweltstrom, in Schlaf zu versenken. Sein Gesang rührt Proserpina, die Gattin Plutos, und sie bittet für den Sänger um eine Gunst. Pluto gewährt ihm, dass er Eurydike mit sich nimmt, doch darf er sich zu ihr nicht umdrehen, bevor sie das Tageslicht erreicht haben. Dies aber tut Orpheus, weil Zweifel ihn überfallen und er dem Dunkel nicht traut. So verliert er Eurydike erneut. Der Schluß des Stückes ist in zwei Varianten überliefert: das Libretto von Striggio folgt den antiken Quellen und zeigt, wie der sich in seinem Leid vergrabende und den Frauen abschwörende, ja sie verdammende Orpheus von Mänaden zerrissen wird - ein Mythos, der in vielen Jahrhunderten Anlaß zu mystischen Deutungen der orphischen Männerbünde und ihrer Geheimlehren gab.
Doch Monteverdi vertont ein anderes Ende: Apoll steigt vom Himmel und führt Orpheus, damit er seine Klagen beende, in den Himmel, wo er unter den Sternen seinen Platz einnimmt.
Die unterschiedlichen Fassungen werfen auch interessante Fragen zur musikalischen Struktur auf. Es ist deutlich erkennbar, dass die ersten beiden Akte der Oper von der Anlage her dem zur damaligen Zeit beliebten und etablierten Schäferspiel mit Musik folgen. Sie sind streng gebaut, chorische und solistische Teile wechseln einander ab, die Architektur des Aufbaus ist im ersten Akt nahezu symmetrisch. Doch mit dem Einstieg in die Unterwelt verändert sich nicht nur der Gestus der Musik, auch die durch ihn gezeichneten Charaktere erscheinen differenzierter. Deutlich treten die Individuen gegeneinander hervor, der Chor erhält andere Aufgaben, er selbst wird zu einem Handlungsträger. Die Figuren vereinzeln, sie haben keinen Halt mehr in einer Gemeinschaft, verschwinden: wie Eurydike, die in der Dunkelheit bleiben muß, so auch Proserpina, der Pluto nun jede Rückkehr auf die Erde verweigert. Und auch Orpheus kann auf der Erde nicht bleiben, das Leben ist ihm unerträglich geworden. Sein einziger Ausweg bleibt der Weg in den Himmel: als Sternbild, als Sinnbild der Musik geht er in den Mythos ein. Hier knüpfen viele spätere Erzählungen des Musiktheaters an, dessen Protagonisten von da an immer häufiger die Außenseiter, die Verlorenen, Verzweifelten und am Rande der Gesellschaft Stehenden sein werden.
(Juliane Votteler)

Produktion der Staatsoper Stuttgart