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Regie Joachim Schloemer Musikalische Leitung Lothar Zagrosek Bühne Jens Kilian Kostüme Jens Kilian Dramaturgie Klaus Zehelein & Helga Utz Licht David Finn Chor Michael Alber Besetzung Robert Künzli, Claudia Mahnke, Catriona Smith, Lina Tetruashvili, Tichina Vaughn, Stefanie Krahnenfeld, John Bröcheler, Heinz Göhrig, Helmut Holzapfel, Daniel Kaleta, Stefan Storck, Klaus Hirte, Karl-Friedrich Dürr, Alexander Efanov, Shoung-Ho Shin, Margarete Joswig, Karl-Heinz Tittelbach, Roman Ialcic

les contes d'hoffmann ist Joachim Schloemers zweite Opernarbeit in Stuttgart. Mit das rheingold, seinem Regiebeitrag zum Stuttgarter Ring, hat Schloemer international für Aufsehen gesorgt. Mit sieben Nominierungen als "Aufführung des Jahres" hat das rheingold im Rahmen der letztjährigen Opernwelt-Kritikerumfrage knapp hinter Marthalers Inszenierung von Janáceks Katja Kabanova bei den Salzburger Festspielen den zweiten Platz belegt.
Bei der jetzt erarbeiteten Stuttgarter Fassung haben Klaus Zehelein und Helga Utz nach umfangreicher Recherche erhebliche Striche und Veränderungen vorgenommen. Für Klaus Zehelein ist Hoffmanns Erzählungen ein Stück, "das es historisch belegbar so nicht gibt." Er betont: "Wir sind verantwortlich dafür, was das Stück für uns heute bedeutet. Deshalb müssen wir die Oper, die ein Fragment ist, neu bearbeiten. Wir verwenden im wesentlichen das von Offenbach komponierte Material, mit Ausnahme des Hoffmann-Stella-Duetts im fünften Akt. Wir legen dabei die Bärenreiter-Fassung mit den zusätzlichen 144 Takten des Finales im Giulietta-Akt zugrunde. Wenn wir uns das Werk genau ansehen, so fallen zwei Dinge auf, die ich von zentraler Bedeutung für die Interpretation halte: einmal handelt es sich nicht im geringsten um eine Literaturoper, ein Etikett, das dem Werk oft angehängt wird, denn es geht ja nicht um die Vertonung eines Werks von E.T.A. Hoffmann, sondern um die Konfrontation des Autors Hoffmann, über dessen Gesamtwerk Heinrich Heine schrieb: 'Ein einziger Angstschrei in 20 Bänden'. Hoffmann wird sozusagen von den Autoren Barbier und Carré zurück geschickt in seine eigene obsessive Welt. Ein grausamer Vorgang.
Es scheint so, als entpuppe sich das Werk Offenbachs bewußt als eine Chimäre der großen Oper. Alles scheint, ist aber nicht. Auf der Bühne erfährt Hoffmann das gleiche. Er begegnet in alptraumhaften Situationen Personen, die vorgeben etwas zu sein, was sie nicht sind. Sie sind lediglich Imaginationen. Ich halte diesen Aspekt für zentral bei der Herangehensweise an dieses Werk."
Der Titel les contes d'hoffmann ist doppeldeutig: Erst einmal suggeriert er, daß Erzählungen des romantischen Dichters E.T.A. Hoffmann "dramatisiert" sind, um in Personal und Handlungsvorlauf als Libretto für eine große romantische Oper zu dienen. Die Autoren Michel Carré und Jules Barbier verfahren aber schon in der Schauspielvorlage zur Oper durchaus anders: Hoffmann erzählt nicht ? er wird erzählt. Die Verschmelzung, ja Gleichsetzung von Dichter und Werk geht so weit, den Autor selbst zum Protagonisten seiner Erzählungen zu machen, das heißt die dramatisierten Texte so zu manipulieren, daß Hoffmann selbst zur handelnden Figur seiner eigenen Geschichten werden kann.
In die Romantische Schule schreibt Heinrich Heine: "Hoffmanns Werke sind nichts anderes als ein entsetzlicher Angstschrei in zwanzig Bänden." Im romantischen Verständnis der Literatur hat der Autor sich mit seinem Werk "entäußert", und diese Entäußerung bedeutet beides: Befreiung und Entfremdung. Unter diesem Aspekt kommt es einem Gewaltakt gleich, der die Oper Hoffmanns Erzählungen konstituiert, da der Autor nun selbst in seiner eigenen phantasierten, obsessionellen Welt gefangen ist. Es gibt wohl keine ausweglosere Situation, als die, sich sozusagen permanent selbst zu begegnen, keine befreiende Konfrontation mit einem fremden, anderen Material zu erfahren, da die Personen, Orte und Ereignisse der eigenen Phantasie entstammen. Die Oper täuscht Handlung immer nur auf ihrer Oberfläche vor, ist jedoch als ein einziger Zustand zu beschreiben: die Personen sind durch die Dramatisierung der ursprünglichen Novellenstruktur geradezu festgeschrieben. Ihnen ist keine wirkliche Erfahrung, Entwicklung im Sinne einer psychologisch dramatischen Entfaltung möglich.

Produktion der Staatsoper Stuttgart