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Berner Zeitung, 10. September 2012

Die Liebe in Zeiten der Willkür
Gewagt, gewonnen: Konzert Theater Bern zeigt zum «Neustart» Beethovens einzige Oper «Fidelio» in der selten gespielten Urfassung. Eine schnörkellose Inszenierung mit einem beherzten Orchester.

Ob wir in der falschen Oper gelandet sind? Miriam Clark schickt kühne Koloraturen in den Raum, duelliert sich mit dem Fagott, zwitschert wie ein Vogel, pflückt das hohe, zweigestrichene h. Wie eine Klangtänzerin. Wie – jawohl: die Königin der Nacht.

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Es ist ein kalkulierter Triumph. Konzert Theater Bern probt den «Neustart», die Befreiung vom lästigen Image des staubigen Stadttheaters. Man tut es mit Beethovens «Befreiungsoper». Mit einem vehementen Plädoyer für die Urfassung von 1805, die kaum je zu hören ist. [...] Nach der umjubelten Premiere lässt sich sagen: Es ist ein kleiner Schritt für die weite Opernwelt, aber ein ordentlicher für Bern.

Das beginnt bei der Inszenierung von Joachim Schlömer: eine kunstvolle, atmosphärisch dichte Arbeit auf der Höhe der Zeit, ganz der Abstraktion und Reduktion verpflichtet. Die Bühne (Olga Ventosa Quintana) zeigt sich als Blackbox mit einer schiefen Innenfläche, umgrenzt von einem bald matten, bald grellen Lichtrahmen. Joachim Schlömer dekliniert das Gefängnis als Metapher durch, spielt mit den Grenzen von innen und aussen, von Kunst und Realität.

Es ist eine Geschichte der Liebe in Zeiten der Willkür, die hier erzählt wird. Einer Willkür und korrumpierten Macht, die zuverlässig von den Männern ausgeht – auf allen Stufen der Hierarchie: Jaquino, der Gefängniswärter (Andries Cloete), bedrängt die gute Marzelline (Camille Butcher), die Tochter von Gefängniswärter Rocco (Pavel Shmulevich), der sich selber als kleiner Herrscher aufspielt, zumindest bis er von Gefängnisgouverneur Don Pizarro (Robin Adams) kräftig heruntergeputzt wird. Dieser Pizarro aber ist bei Schlömer eher ein Freak als ein furchterregender Tyrann. Und man denkt daran, am Ende der Oper, wenn die Regie ihre böseste Pointe auspackt und Don Pizarro im hehren Schlussjubel kurzerhand erhängen lässt.

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Oliver Meier