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WZ, 2. Februar 2000

Die Phantasie bekommt Beine
Choreograf Joachim Schloemer inszeniert Henri Michaux

"Eine Gedankenmusik für Henri Michaux" so lautet der schöne Untertitel des Abends, den der Choreograf Joachim Schloemer am Düsseldorfer Schauspielhaus zeigt. Was muss man sich darunter vorstellen? [...]
Auf der Bühne des Kleinen Hauses ist ein dunkel vertäfeltes Restaurant zu sehen ([Bühne:] Jens Kilian), mit Tischen, Schiebetür und Anrichte. Vorn sitzt Monsieur Plume (Horst Mendroch) und berichtet mit stoischem Ernst von einem Gastmahl mit Hammelzungen und Erstickungsanfällen. Unversehens verstummt er: Aus dem Hintergrund schieben sich unbeteiligte Gestalten hervor. Eine Firmenbesitzerin im Abendkleid (Anke Hartwig) führt einen jungen Missionar (Denis Geyersbach) an der Lustleine, bis er unter heftigen Zuckungen erschossen wird. Ein Millionär mit Stetson und Cowboystiefeln (Michael Abendroth) erzählt von der Schwierigkeit des Köpfeabreißens, assistiert von einem versoffenen Kapitän (Pierre Siegenthaler).

Es sind Figuren, die aus den Geschichten, aus Michaux' Biographie oder, wie der Anarchist mit Sombrero aus der Ikonographie der Avantgarde-Bewegung destilliert sind. Ihre kleinen Geschichten wirken die die leibhaftig gewordenen Gedanken des Plume. Eine Verselbständigung der Phantasie [...]
Der Abend gerät in eine poetisch-skurrile Schräglage, als ob beim Untergang der Titanic der Augenblick, in dem alles ins Rutschen kommt, in der Zeit festgebannt wäre. [...]

Hans-Chr. Zimmermann