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Die Welt, 17. März 1999

Wassertreten im Mythen-Bassin
"Rheingold" geht baden: Joachim Schloemer eröffnet den neuen Stuttgarter "Ring" in einer Wandelhalle

"Wer ihn besitzt, den sehre die Sorge, / und wer ihn nicht hat, den nage der Neid!" Was Alberich da prophetisch ausspricht, ist so abwegig nicht. Jeder Intendant giert nach dem "Ring", gerade wird er in Münster und Chemnitz geschmiedet, Berlin hat gleich zwei davon. Doch abgesehen von der mörderischen Frage, wer da heute mit wem singt, da Wagner-Sänger immer weniger werden oder kaum mehr bei Stimme sind: Wie kann man für dessen mythisches Brimborium neue Ansätze finden?
Wenn schon kein "Ring"-Verbot für zehn Jahre, dann vielleicht der Ansatz des Stuttgarter Intendanten Klaus Zehelein: ein "Ring" für vier Regisseure. Diese phantastischen Vier, das sind der Choreograph (und Opern-Neuling) Joachim Schloemer, Christoph Nel, Jossi Wieler und Peter Konwitschny, die in vierteljährlichem Abstand - seperat und eigenständig, auch mit unterschiedlichen Ausstattern - je ein "Ring"-Teilstück formend "zum Reif zwingen das Gold" (Wellgunde). Als akustische Klammer fungiert der Dirigent Lothar Zagrosek - am ersten Abend laut und grob, horndeutlich, noch wenig eigenständig. So will man einen "Ring", der in postmoderner Unübersichtlichkeit und Pluralität der Stile vielen paßt, wo nicht "des Ringes Herr als des Ringes Knecht" (Alberich) fungieren muß.
So geht, zu aller Es-Dur-Anfang, das "Rheingold" baden. Schloemer sowie seinen Dramaturgen Zehelein und Sergio Morabito ist die Anstrengung anzumerken, für das, was mythisch und doch heutig ist, ein passendes Ambiente zu finden. Krupp und die Nazis, das geht seit Herz, Chéreau und Wernicke nicht wieder, Kupfers Sience-fiction-Orgie aus Plaste und Neon mag keiner mehr sehen, Peter Halls Romantik-"Ring" war ein Flop, Kirchners Märchen in Rosalies Zivilisationsschrott ebenso.
Also suchte man einen Einheitsraum, bedeutungsvoll, aber möglichst neutral. Jens Kilian hat ihn in einer Jugendstil-Wandelhalle als Spielort gefunden, die, sei sie nur Vorraum für ein Schwimmbad oder Trinkkur-Tatort, in ihren Braun- und Schmutzig-Gelbtönen an Anna Viebrocks Marthalereien erinnert. Ihr Vorteil: Sie stört nicht, hat mit Empore und Aufzug vielfältige Auf- und Abgangsmöglichkeiten und bietet den Rheintöchtern (Catriona Smith, Maria Theresa Ullrich, Helene Schneiderman) in ihren Matrosenuniformen ein Granitbecken für Wasserspiele. Alberich (kraftvoll gesteigert: Esa Ruuttunen) hechtet sogar pudelnaß durchs Bassin auf der Jagd nach dem Rheingold-Geschirr, dessen letzte Becher Mime (frech und beweglich: Eberhard Francesco Lorenz) zusammenrafft.
Joachim Schloemer deutet kaum, er erzählt aber ein wahrlich nicht unkomplexes Geschehen einleuchtend und vielschichtig. Vor allem in der Gleichzeitigkeit, mit dem er Handlungsstränge, Bedeutungsebenen und Schauplätze verknüpft, erkennt man den sonst synchron Tänzer-Bewegenden.
So sind von Beginn an Licht- und Nachtalben, Riesen und Rheintöchter auf der Bühne und bleiben das die meiste Zeit. Ihre Kostüme weisen auf die zwanziger Jahre, sie alle gehören im Gesellschaftsgefüge zusammen, auch wenn sie Unterschiedliches im Schilde führen. Froh (Bernhard Schneider) sieht aus wie Gottfried von Cramm, Donner (Motti Kastón) trägt Smoking. Wotan (in der zweiten Vorstellung spielte der malade Wolfgang Probst und sang Monte Perderson markant von der Seite) ist ein grämlicher Familienpatriarch im Morgenmantel, in dessen Ehe Gattin Fricka (richtig scharfstimmig: Michaela Schuster) nicht nur die Anzughosen anhat. Loge (wie ein Hai im Broker-Hemd: Robert Künzli) zieht sie alle am Faden, auch wenn es keiner weiß. Seine große Erzählung wird zu einem Höhepunkt, verhörähnlich inszeniert, alle bannend, dann durcheinanderwirbelnd. Schloemer hat die "Rheingold"-Klassen aufgehoben: Die Nibelungen sind die armen Verwandten, die Riesen (Roland Bracht, Phillip Ens) niedere Angestellte mit Arbeitnehmer-Taschen, Erda (flachstimmig: Tichina Vaughn) die Anstandsdame hinter der Eisenwand. Den Opernwundern und Bühnentricks verweigert sich der Regisseur, keine Verwandlungen, keine Auf- und Abstiege. Die Tarnkappe ist ein Spiegel, das Gold, mit dem das Frauchen Freia (Helga Rós Indridadóttir) aufgewogen wird, ein Kettenhemd. Das Hämmern der unsichbaren Nibelungen kommt aus einem Grammophon, welches Mime später zerbricht.
Kein wirklicher Entwurf also, keine neue Welt legt sich hier offen, wie Wagner es sich vom "Ring"-Vorabend erhoffte. Doch die "Rheingold"-Handlung ist mit einem leichtstimmigen und überzeugend spielenden Ensemble spannungsvoll und beziehungsreich verdeutlicht. Das scheint nicht wenig. Auch der Schluß ist Understatement: Ihrem Des-Dur-Ende gehen die Götter auf dem Weg nach Wallhall in die (freilich hellstrahlende) Kanalisation entgegen. Besiegte und Verlierer, Mime, Alberich bleiben zurück. Dann aber tauchen die Lichtalben noch einmal auf, bereit für weiteres. "Walküren"-Nel, übernehmen Sie! Weiß der, was das wird?

Manuel Brug