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Der Standard, 26. September 2011

Ein multiplizierter Mozart samt Bodenpersonal
Joachim Schloemers "Abendempfindung" in St. Pölten

Am Tag der Premiere ist die Stimme der Sängerin weg. Es gibt keine Zweitbesetzung. Da bleiben nur zwei Möglichkeiten: absagen oder das Stück umbauen. Mit dieser Situation konfrontiert, hat Joachim Schloemer für seinen Saisonauftakt Abendempfindung im Festspielhaus St. Pölten die zweite Lösung gewählt. Das Ergebnis war spannend.
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Oft werden Stücke auch von ungeplanten Zwischenfällen vor der Aufführung neu gestaltet. Schloemer hatte einen Nachmittag lang Zeit. Er ließ seine Sopranistin Cornelia Ptassek durch die Chorsängerin Meike Albers doubeln: Ptassek bewegte ihre Lippen, Albers sang dazu.
Und das Ungeplante wurde zu Schloemers Komplizen, denn in seiner Abendempfindung ist die Verdoppelung ein wesentliches künstlerisches Element. Damit wird die Ablösung Wolfgang Amadeus Mozarts aus der Abhängigkeit des Salzburger Fürsterzbischofs und seine Übersiedelung
nach Wien als freischaffender Künstler dargestellt.
Drei Allegorien repräsentieren den großen Musikus: das Schauspiel (Marianne Hamre), der Gesang und der Tanz. Diese Stellvertreter
bekommen noch Zuwachs durch einen zwölfköpfigen Chor. Alle zusammen wirken sie in ihren einheitlichen hellbraunen Kostümen wie das Bodenpersonal einer Fluglinie. Diese Multiplizierung Mozarts als "corporate identity" zielt auf die Marke, zu der Mozart noch zu Lebzeiten geworden ist.
Zudem erweist sich ein riesiger Spiegel auf der Bühne als überdimensionaler Monitor, durch den die Figuren zweifach verdoppelt werden: als Spiegelbilder und als Videofiguren. Die unfreiwillige Verdoppelung der Sängerin bringt den visuellen Effekt bestens passend auch auf jene musikalische Ebene, um die es in der Abendempfindung - mit dem Tonkünstler-Orchester - schließlich geht.
[...] Mozart ist uns zu einer virtuellen Ikone geworden, und auch
Schloemers Thema vom Kampf des Künstlers um seine Unabhängigkeit gehört zur Mythenbildung. Heldinnen des Abends waren Ptassek und ihr Double. Wunderschön sang Albers vor allem die Arie Vado, ma dove? Oh dei!

Helmut Ploebst