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Reise im Stillstand
Südkurier, 6 February 2012
Reise im Stillstand
Joachim Schlömer inszeniert Elfriede Jelineks „Winterreise“ in Freiburg als berührendes Stück über Demenz
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Stillstand in der Bewegung. Das ist auch das große Thema von Jelineks „Winterreise“, jenem Stück, das vor einem Jahr in München uraufgeführt wurde und seither ein reges Bühnenleben führt. Nun hatte es am Freiburger Theater Premiere, in der Regie von Joachim Schlömer, der Jelineks feines Textgespinst mit viel Gespür für dessen Symbolgehalt, aber auch für die musikalischen Qualitäten inszenierte. Stillstand und Bewegung – das ist sowieso das Handwerkszeug eines Theatermannes, der, wie Schlömer, vom Tanz kommt.
Und so kann man diese „Winterreise“, die so gänzlich anders ausfällt, als die Münchener Ur-Inszenierung von Johan Simons, auch wie eine Choreografie lesen. Als ein Spiel von fünf gleich gekleideten Figuren – zwei Frauen (Nicole Reitzenstein und Stephanie Schönfeld) und drei Männern (Gabriel von Berlepsch, Konrad Singer und Martin Weigel) –, die sich in Jelineks Text zum Pas de deux oder Pas de trois finden, die zum Ensemble verschmelzen oder sich in Soli vereinzeln. Sie philosophieren über die Zeit und über die Unmöglichkeit, aus der Zeit auszusteigen. Und dabei ziehen sie ihre Kreise über Jens Kilians runde, weiße Bühne. Immer im Uhrzeigersinn. Ein Metronom gibt den Takt vor. Stillstand in der Bewegung eben.
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Jelinek zieht auf ihrer Winterreise an den unterschiedlichsten Themen vorbei. Da gibt es die autobiografischen Bezüge, zu ihrer diktatorischen Mutter und zum demenzkranken Vater, und da sind die politischen Themen wie der Bankenskandal um den Verkauf der Hypo Group Alpe Adria an die bayerische Landesbank. Und schließlich ist da noch der Fall Natascha Kampusch, den Jelinek ebenfalls in ihren Text eingeflochten hat. In den Münchener Kammerspielen hatte Johan Simons all diese Personen mehr oder weniger deutlich auf die Bühne gebracht – Jelinek, ihre Mutter, ihren Vater, die Kampusch.
Nichts davon ist in Freiburg zu sehen. Schlömer konzentriert sich vielmehr auf die zwischenmenschlichen Themen. Bankenskandal und Natascha Kampusch fallen in seiner stark gekürzten Fassung dem Rotstift zum Opfer. Was dem Stück keinen Abbruch tut. Im Gegenteil: Diese „Winterreise“ wird zu einer Lebensreise. Ein Laienspielchor aus Jugendlichen und aus der Freiburger Seniorentheatergruppe „die methusalems“ markieren deren Beginn und das Ende. Vor allem aber verdichtet sie sich zur Reise des demenzkranken Vaters, der, von den Hunden angebellt, auszieht zu seiner letzten Wanderung. Fremd ist er geworden, sich selbst – und seiner Frau und seiner Tochter, die ihn auf diese Reise schicken. Man könnte auch sagen: die ihn abschieben in Pflegeheim und Psychiatrie. Wie Jelinek dieses Verlorensein beschreibt, die Hilflosigkeit des Vaters – das geht unter die Haut, und man ahnt, welche Schuldgefühle die Autorin plagen, deren alzheimerkranker Vater 1968 in ein Pflegeheim gebracht wurde und bald darauf starb.
Nicht Schuberts Musik, sondern das Lied „Hoch auf dem gelben Wagen“ wird bei Schlömer zur klingenden Metapher für diese letzte Reise. Immer wieder ertönt es aus einem Transistorradio. Und wohl noch nie klangen die darin Zeilen bitterer als hier: „Ich wäre so gerne geblieben. Aber der Wagen, der rollt.“
Elisabeth Schwind