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Echo Online, 7 October 2005

"Passagio" von Luciano Berio

Diese Musik kommt für heutige Ohren von weit her. Lucianos Berios wenig mehr als halbstündige Anti-Oper "Passagio" ist Avantgarde aus der Tiefe der sechziger Jahre, als solche von eher herbem Witz, als Kritik an Totalitarismus und Konsumgesellschaft aber stark zeigefingerbewehrt.
Die Sequenzen aus der gleichen Zeit, hier die Nummern 2, 4 und 7 für Klavier, Oboe und weibliche Stimme, sind Meisterstücke virtuos sprechender Konzertmusik. Muss man das eine reanimieren, das andere unter der Überschrift "Tre donne" als Uraufführung dem zeitgenössischen Musiktheater gewinnen?

Ausgehend vom Ende der von Joachim Schloemer hinreißend inszenierten und choreografierten Produktion im Schauspielhaus des Mannheimer Nationaltheaters gibt es nur eine Antwort: Man kann.

Der musikalisch anspruchsvolle Diskurs über gesellschaftliche Zurichtung und Selbstfindung funktioniert prächtig. Zumal Schloemers Ausstatter Jens Kilian den Raum zum Mitspieler macht. Im ersten Teil interveniert der Sprechchor aus dem Zuschauerraum, den eine Lichtbrücke mit der zur schiefen Ebene vereinfachten Bühne verbindet.

Im Finale des zweiten treten eine Tänzerin (ausdrucksstark: Maria Pires) und zwei Sängerinnen (Deborah Lynn Cole und die fantastisch stilsichere Sarah Maria Sun) mitten unter den Zuschauern im Boxring zum Finish an. Schloemer und seine engagierten Interpreten agieren auf eine so intelligente und souveräne Weise, dass aufgeweckte Theatergänger richtig süchtig danach werden könnten.

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Sigrid Feeser