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Volksstimme Sissach, 19 January 1999

Tief drin im verschlingenden Packeis
Tanztheater Basel: Joachim Schloemers «Kraanerg»

Joachim Schloemers Tanztheaterstück «Kraanerg», zur gleichnamigen Musik von Iannis Xenakis, wurde vor drei Jahren in Weimar uraufgeführt. Auch die Basler Premiere am Freitagauf der Grossen Bühne wurde zum Erfolg. Eindrücklich beschwört der Basler Tanzchef die Abgründe von Eiswelten.
Menschen kämpfen sich durchs Eis. In dicke Pelzmäntel gehüllt ziehen sie schwere Schlitten oder gleiten auf dem Boden aus. Wenn die Gesichter nicht mit Mützen und Schals vermummt sind, zeigen sie die verzweifelte oder starre Mimik von Männern und Frauen, denen der kalte Tod unter die Haut kriechen will. Dann wieder huschen sie in weisser Unterwäsche wie Eisfische über die Bühne.
Die Szenen von Joachim Schloemers Tanztheater «Kraanerg» sind wie ein schwerer Traum oder ein faszinierender Film. Der Ausstatter Frank Leimbach hat die Bühne in eine Eislandschaft verwandelt, deren Rand bläuliches Wasser reflektiert. Während 75 Minuten wissen wir nie, ob Schloemers ausdrucksstarke Tänzerinnen und Tänzer im Packeis stecken oder bereits tief im Eiswasser verloren sind. Die Bewegungen sind langsam, wie von der Kälte gelähmt. Ab und zu wird eine Frau vom Schrecken geschüttelt. Eine andere halluziniert mitten in den Eisbergen plötzlich ein Blumenfeld. Verstört lässt sie die gepflückten Tulpen ins Leere sinken.
Selten hat eine Schloemer-Choreographie einen so grossen Sog entwickelt und so nachhaltig in eine andere Welt entführt. Unterstützt wird das von der phantastischen Musik von Iannis Xenakis, einer Komposition für Orchester und Tonband, die der Choreographie den Namen gab. Xenakis - der beim begeisterten Schlussapplaus ebenfalls auf der Bühne war - lässt aneinander zersplitternde Klangwelten entstehen, die Abgrund um Abgrund öffnen, als wäre die Eiswelt ein alles verschlingendes, alles zerberstendes Universum.

Eva Bucher