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Neue Zürcher Zeitung, 21 January 2013

Poetischer Ausdrucksraum
«Königinnen» in Basel

Poesie darf rätselhaft sein. Das Musiktheaterwerk «Königinnen», das Fritz Hauser und Joachim Schloemer gemeinsam für die kleine Bühne des Theaters Basel geschaffen haben, ist Poesie und spielt mit dem Geheimnisvollen der verschiedenen Bedeutungen. Assoziativ setzten sich die beiden mit den grossen oder auch scheinbaren Königinnen der Geschichte oder den kleinen des Alltags auseinander, ausgehend von Texten von Stefan Zweig, Maurice Maeterlinck oder Alissa Walser. Die Worte werden gleichsam musikalisiert, Geschichten können dazwischen aufscheinen, eingebettet in einen Strom von Musik; sie stammt aus dem Spätmittelalter, aus Barock, Klassik, Romantik bis zur Gegenwart. Oft sind es erlesene Klänge und Geräusche, geschaffen vom Schlagzeuger Fritz Hauser, die aus Lautsprechern das Geschehen begleiten oder tragen.
Die «Königinnen» sind das Resultat eines kollektiven Arbeitsprozesses in einem offenen Ausdrucksraum, wobei der Musiker Fritz Hauser und der Choreograf und Regisseur Joachim Schloemer gleichberechtigt mitwirkten; sie zeichnen gemeinsam verantwortlich für Regie, Raum, Musik und Choreografie. Und wie das oft bei offenen Projekten ist: Man hat selten genug Zeit, sie konsequent zu Ende zu bringen. Es sei denn, man wisse schon vorher genau, wohin man möchte. Die strukturierten Ideen mussten also zuerst mit den je zwei Schauspielerinnen, Sängerinnen, Pianistinnen und der Tänzerin generiert und erarbeitet werden, die im Stück – bisweilen zusammen mit jeweils einem kindlichen alter ego – auftreten.
Solche Prozesse faszinieren, denn was zu sehen ist, wird fühlbar zur Resultante eines kollektiven Entwicklungsgangs. Arbeitsspuren bleiben teilweise sichtbar, und so ist es auch bei den «Königinnen». Der Abend beginnt unglaublich stark in einem sehr reduzierten Raum: Ein in die Tiefe gestaffelter Rahmen mit grossen Leuchtbalken erweist sich später als beweglich. Hinter einem schwarzen Gazevorhang werden zwei alte Stubenklaviere sichtbar. In der Bühnenmitte gibt es ein Loch, welches Assoziationen auslöst und von grosser Wirkung ist. Es hat aber auch einen kreisrunden Deckel, der von oben nach unten gefahren werden kann.
Eindrücklich, wie die Schauspielerin Carina Braunschmidt dem Abend gleichsam ein Rückgrat gibt – mit den neu für das Stück geschriebenen Texten von Alissa Walser. Gross, wie Verena Buss von der Bienenkönigin berichtet (Maeterlinck). Packend, wie die Sopranistin Geraldine Cassidy, die Mezzosopranistin Solenn Lavanant-Linke das Geschehen mit ihren Auftritten noch einmal ganz anders emotionalisieren. Die beiden Pianistinnen Simone Keller und Tamriko Kordzaia holen aus den zwei Klavieren, einem Keyboard und einem Toy-Piano mit starker Präsenz alles heraus. Und die Tänzerin Alice Gartenschläger kann mit ihren kraftvollen Auftritten und einem vielfältig eigenwilligen Bewegungsrepertoire einem den Raum unmittelbar fühlbar machen, Tempo und Aktion einbringen.
So entwickelt das Stück zunächst eine Zugkraft, die einen völlig packt. Eindrücklich ist vor allem, wie die Regie mit dem Raum arbeitet. Bild reiht sich an Bild, oft sind die Übergänge klar geschnitten. Jede der sieben Protagonistinnen bleibt bei ihrem Metier, und aus dem Zusammenkommen im fein ausbalancierten Nebeneinander entsteht das Neue, entsteht Poesie. [...]

Alfred Zimmerlin