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Die Welt, 29 October 2001

Tanzfest im Folkwang: 15 Tänzer, 15 Sekunden

[...] Ganz im Sinne der stets nachwuchsorientierten Jooss-Tradition eröffnete das Festival mit den beiden ehemaligen "Folkwangs" Henrietta Horn, Co-Leiterin des Folkwang Tanzstudios (1928 von Jooss ins Leben gerufen), und dem Ex-Baseler Tanzchef Joachim Schloemer. Der 39-jährige Schloemer, bereits international anerkannt, auch als Opernregisseur, hat hier, abgestützt durch elf professionelle Tänzer, gezielt für 15 Folkwang-Studenten der Abschlussklassen choreographiert. Dieses "15 in 15 Sekunden" ist eine Art Lehr- und Lernstück und besteht, titel-gerecht. Aus Sekunden-Miniaturen, bietet so den jungen Nachwuchstänzern einen geeigneten sanften Bühnen-Einstieg.
Zu einer entsprechend schnell wechselnden Musik-Montage zwischen E und U, zwischen barocker Spinettmuisk und postmodern elektronisch Raunendem, werfen sie sich, alle in schwarzem Anzug und weißem Hemd, in Schloemers Bewegungssprache: ein Duktus frei beweglich im Torso, vielfach spielerisch in den Armen, ohne Hemmung vor Bodenkontakt. Mal agieren die Tänzer, quasi hechelnde Großstad-Horde, in wild rennenden Massen-Formationen kreuz und quer über die gesamte Bühne.
Schloemers Versuchsanordnung hat den stillen Charme der choreographischen Recherche - aber auch quälende Längen. Weil er ziemlich ungeniert Schüler(Tanz)theater zulässt. Dabei gelingen ihm überraschenderweise auch wieder wunderbar poetische Szenen: dieser eng geschlossene statische Tänzer-Pulk, der sich präzise im 15-Sekunden-Takt, jeweils mit Viertelwendung einem anderen Bühnenwinkel zuwendet. Oder am Ende das - bereits bei der US-Minimalistin Lucinda Childs gesehene - unaufhörliche Achter-Kreiseln eines Tänzers, dem sich nach und nach alle anderen zugesellen und sich dann auch wieder nacheinander aus dem Verbund lösen. [...]

Malve Gradinger