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Tages-Anzeiger, 29 January 2005

Überwindung der Hektik
Joachim Schloemer und Graham Smith testen im Zürcher Tanzhaus Wasserwerk mit «speed. neither/nor» ihre Belastbarkeit

Körperliche Anstrengung darf bei der Präsentation von Tanz normalerweise kein Thema sein. Rohe Bewegungsenergie muss scheinbar mühelos ins raffinierte Regelwerk einer Choreografie eingespiesen werden und verwandelt sich dort in hehre Kunst und Ästhetik, jenseits von Herzklopfen, Schweiss und keuchendem Atem.
Über diese selten angetastete Grundregel setzt sich Joachim Schloemer in seiner jüngsten Choreografie «speed. neither/nor» hinweg. Der 42-jährige ehemalige Basler Ballettchef betritt hier gemeinsam mit dem um zehn Jahre jüngeren Tänzer Graham Smith die Bühne und verausgabt sich in einer Art Selbstversuch, der wie ein sportlicher Härtetest anmutet: Tanzen bis zum Umfallen.
in schlaksigen Bewegungssequenzen durchpflügen die zwei Männer den Raum. Der eine als Verdoppelung des andern, lassen sie synchron Kopf und Hüften kreisen, wuchten ihre Körper um die eigene Achse, lassen sich zu Boden sinken und bäumen sich wieder auf. Dazu ist nur ihr Schnauben, das Stampfen der Füsse und ab und zu ein Klatschen der Hände zu hören. Schmucklos werden die Sequenzen wiederholt und beschleunigt - ein männlicher Kraftakt. Der Körper: eine ächzende und dampfende Maschine. Der Mensch: eine Aufziehpuppe, die ihre Bewegungen abschnurrt, bis alle Batterien leer sind.
Die Tanzkunst als Schwerarbeit? Schloemer ist zu raffiniert, um sich mit dieser simplen Botschaft zu begnügen. Mit Hektik und martialischem Getue lenkt er das Publikum im Zürcher Tanzhaus Wasserwerk auf eine falsche Fährte, um unbemerkt feine, leise Elemente in seine Choreografie zu schmuggeln. So schleicht sich ein zarter Brummton in die Stille, sachte verändert eine subtile Lichtregie (Andreas Grüter) die Atmosphäre, und auf einer Textwolke an der Rückwand schimmern pastellfarbene Videobilder.
Je mehr sich die Kraft der Männer erschöpft, desto mehr entfaltet sich die Autorität dieser ruhigen zweiten Ebene. Und wenn die Tänzer schließlich als lebendige Statuen nackt posieren, schwingt ihre Energie nach. Er werde nach neuen Produktionsformen suchen, um noch kompromissloser arbeiten zu können, erklärte Schloemer, als er sich 2001 vom Theater Basel verabschiedete, um sich als freier Choreograf und Regisseur zu betätigen. Das schlichte, grossartige Stück «speed. neither/nor» zeigt, was er damit meinte.

Agathe Blaser