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Tages-Anzeiger, 18 October 2004

Wie zerkauen Termiten das Holz?
Konsequent, aber nicht leicht zugänglich: die Choreografie «Morton, Morton, Morton» von Joachim Schloemer am Theater am Neumarkt in Zürich.

Morton Feldman wurde 1926 in New York geboren, war gross, schwer, kurzsichtig. Er spielte Klavier, komponierte, war mit John Gage befreundet, liebte Frauen und geknüpfte Teppiche und starb 1987. Doch im Grunde ist das alles sekundär. Denn Joachim Schloemer arbeitet in «Morton, Morton, Morton» zwar mit dem Material des Komponisten. Mit dessen Musik und Worten; Teilen aus Essays, autobiografischen Texten, Interviews und Vorlesungen. Doch geht es dabei weder um die historische Figur des Morton Feldman noch um eine schlichte Interpretation oder gar Illustration seiner Musik. Die hundert Vorstellungsminuteri auf der Neumarktbühne sind nicht Hommage und nicht Konzert. Sie spinnen vielmehr die Fragen weiter, die aus Feldmans Schaffen hervorblitzen: Wie zum Beispiel zerkauen Termiten Holz, wo sie doch keine Zähne haben? Was vermag die Betrachtung eines Teppichmusters auszulösen? Wann ist ein musikalisches Werk zu Ende? Was ist überhaupt Musik, und soll man Fische, die lateinische Namen tragen, essen?

Wenn man Schloemer folgt, sind das keine intellektuellen Spielereien und Spitzfindigkeiten, ist das kein absurder Wortwitz. Der 42-jährige Choreograf verswendet das subversive Material Feldmans mit Ernst und Akribie, um die Grenzen fzwischen vermeintlich festen Grossen zu sprengen. Mit Erfölg: Die Unterteilungen in Ton und Pause, unbelebtes Material und beseelter Körper, Bewegung und Stillstand, Theater und Tanz oder Frau und Mann werden an diesem Abend obsolet. Da bekommt das Licht, das auf die tunnelartige Verlängerung der Bühne trifft, dieselbe Wichtigkeit wie der gedankenvolle Blick der Schauspielerin, das Klappern der Absatzschuhe oder die Hände des Pianisten, die sich auf der blanken Oberfläche des Flügels spiegeln.
«For Bunita Marcus», eine späte Komposition aus dem Jahre 1985, setzt den (zeitlichen) Rahmen. Fein, beinahe zärtlich berühren Markus Hinterhäusers Finger die Klaviertasten. Die einzelnen Töne verbinden sich mit den sonor entspannten Stimmen der Neumarkt-Schauspielerin Marianne Hamre und des Tänzers Graham Smith. Die, wie wenn sie auf Diaprojektionen gebannt wären, wechselnde Ruhepositionen im Raum einnehmen. Zwei entrückte Figuren, bildschön. Beinah zu schön: Der Abend, der manchmal ins Manierierte zu kippen droht, besticht durch seine Konsequenz. Schloemer lässt sich nicht auf Emotionen ein. Er bleibt in einem streng gehaltenen Bewegungskonzept. Selbst wenn Graham Smith in ein getanztes Solo übergeht, bleiben seine Bewegungen stark fragmentiert.

Es gibt keine einlullende Ekstase zu sehen, sondern präzis konstruierte (körperliche) Veränderung. Damit die Choreografie ihre eigentümlich berückende Sogwirkung entfalten kann, braucht das Publikum etwas Geduld - und Aufmerksamkeit.

Charlotte Staehelin