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Neue Zürcher Zeitung, 16 October 2004

Im Klangraum
Premiere «Marion, Marion, Morton» am Theater am Neumarkt

Die Uraufführung von Joachim Schloemers Stück «Morton, Morton, Morton» über den amerikanischen Komponisten Morton Feldman am Theater am Neumarkt stand unter keinem guten Stern. Nach einer knappen halben Stunde wurde die Aufführung wegen eines Defekts an der Lichtanlage abgebrochen. Theaterdirektor Wolfgang Reiter vertagte die Premiere auf den nächsten Abend. Neuer Anlauf: Inzwischen ist man durch die Wiederholung schon einigermassen vertraut mit den eingefrorenen Bildern des Beginns. Ein perspektivischer Guckkasten saugt den Blick in sich hinein. Die Schauspielerin Marianne Hamre und der Tänzer Graham Smith stehen oder sitzen auf der Bühne an verschiedenen Orten. Links vorne wartet der aufgeklappte Flügel. Die ersten Klaviertöne werden vom Pianisten Markus Hinterhäuser ins vollständige Dunkel hinein gespielt. Die Lichtwechsel rhythmisieren das Geschehen im Klangraum von Feldmans Musik. Stimmen, Töne und die Atemgeräusche des Tänzers überlagern sich. In vollkommener Balance von Klang und Nicht-Klang ertönt Feldmans über einstündiges Klavierstück «For Bunita Marcus».
Der Pianist Markus Hinterhäuser spielt mit Feingefühl im Anschlag. Feldmans Musik braucht weder die abgezirkelten tänzerischen Posen noch den körperlichen Ausdruck. Und der Regisseur und Choreograf Joachim Schloemer weiss das. Vielleicht gelingt ihm deshalb das nahezu Unmögliche: Die Abwesenheit der Schwere in Feldmans Musik hat Schloemer zu einer sublimen Inszenierung des Raums inspiriert. Der gesprochene Text besteht aus Zitaten Feldmans, der mit John Cage und den Malern des abstrakten Expressionismus befreundet war. Darunter sind ironische Sentenzen wie «Schiebe die Klänge nicht in der Gegend herum». Auch der Regisseur schiebt nichts auf der Bühne herum, sondern erweckt den Klangraum zum Leben. Der leichtfüssige Graham Smith und die schlanke Marianne Hamre leihen Feldman ihre Stimme und fragile Körperlichkeit. Hamre ist eine langbeinige Muse im Tweedkostüm, die dem gesprochenen Wort hinterherlauscht, wie es Kinder tun. Der Abend erweitert das Feld der Deutungen von Feldmans Musik auf ebenso intuitive wie intelligente Weise.
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Martina Wohlthat