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Neue Zürcher Zeitung, 29 October 2007

Entdeckungsreisen in Berlioz' Phantasiewelten

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Auf Kontraste setzt auch der Regisseur Joachim Schloemer. «Troja» steht bei ihm für eine archaische Kultur, die bestimmt ist von Riten, Kampf und Ahnenkult. «Karthago» dagegen repräsentiert die moderne, hochtechnisierte Zivilgesellschaft. So haben die in grelles Grün gekleideten Trojaner Zuflucht gefunden in einer Höhle mit betonierten, gelb bemalten Wänden. Als «trojanisches Pferd» bestaunen sie ein mit Sprengkörpern angefülltes Motorrad. Ihre vorzivilisatorische Gesellschaftsordnung vertritt indessen weniger die tragische Seherin Kassandra [...] denn ein stummer Schamane (der Tänzer Marco Volta), der Aeneas und seinem Trupp bis nach Karthago folgt.

Dort lebt die Königin Dido in einem gestylten Glaspalast und lobt ihr tüchtiges Volk vor vollbesetzter Pressetribüne bei laufender Videokamera. Wenig später verfällt sie in leidenschaftlicher Liebe dem aus Troja geflüchteten Helden Aeneas [...], der mit seinem Trupp in kleinen Zelten campiert. Doch Aeneas verlässt sie, um seinen historischen Auftrag, die Gründung Roms, zu erfüllen, und Dido verbrennt sich auf einem aus weissen Plasticmöbeln errichteten Turm. Zurück bleiben ihr wehklagendes Volk und ein Knabe, der mit einem Fernglas und zwei Spielzeugpanzern auf seinen Lebensauftrag vorbereitet wird: sich an den künftigen Römern zu rächen. Denn, so Schloemers These, die Kulturen assimilieren sich nicht, sie zerstören sich gegenseitig.

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Marianne Zelger-Vogt