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DeutschlandRadio Köln, 9 February 2002

Anbetungswürdig
Joachim Schloemers neues Stück "Les larmes du ciel" im Berliner Hebbeltheater

Nach seinem Ausscheiden als Ballettdirektor in Basel im letzten Sommer übt Joachim Schloemer, hervorgegangen aus der Folkwang-Schule Essen, sich jetzt wieder in der freien Szene. Ab kommenden Sommer wird er auch bei den Salzburger Festspielen mitarbeiten. In Luzern hatte letzte Woche bei "Iuzerntanz" sein neues Stück "Les larmes du ciel" (Die Tränen des Himmels) Premiere. Entstanden ist es in Kooperation mit dem Berliner Hebbeltheater, wo es bis Sonntag zu sehen ist. Gestern war Berliner Premiere.
Gleich das Eröffnungsbild stimmt den Ton an zwischen loderndem Entsetzen und ironisierender Blasphemie. Eine Gruppe (vier Frauen, ein Mann) sieht man da verkrallt ineinander und wie gekrümmt von Schmerz - und flugs wird daraus so was wie Gruppensex. Der Mann nimmt eine der Frauen von hinten. Eine andere stibitzt ihm dabei kunstvoll das Portemonnaie aus der Gesäßtasche und lässt es in der Mantel-Tasche einer anderen verschwinden.
Oder: eine der Frauen wird wie eine Meduse drapiert. Die Haare wie stechende Strahlen gezwirbelt und gezerrt, die Gliedmaßen - Finger, Arme, Beine - wie bei einer Gipsfigur in diverse Positionen modelliert. Und dann wird sie wie eine Heiligenfigur bei der Prozession auf einer Bahre hoch über den Köpfen durch die fiktiven Reihen getragen. Ein sozusagen Anbetungs-Paket.
Sieben Musikerinnen und Musiker im Graben', zwei Tänzerinnen, ein Tänzer, zwei Sängerinnen, die In die tänzerischen Aktionen einbezogen sind, auf der Bühne - les larmes du ciel - die Tränen des Himmels, ist ein auf minimalen Aufwand angelegtes Stück. Seine Wirkung erzielt es gerade auch durch Aussparen.
Inspirieren ließ Joachim Schloemer, der vor seiner Tanzausbildung auch mal Architektur studierte, sich offenbar von Altar-Skulpturen und religiösen Tafelbildern. Das Bühnenbild von Jens Kilian ist wie eine stilisierte Chorwand einer mittelalterlichen Ordenskirche oder der Aufsatz eines Altars. Eine kaminartige, aufgeschnittene Röhre in der Mitte ragt daraus empor wie der Stumpf eines Kreuzes.
Immer wieder kommen die Tänzer dort hin, halten Zwiesprache mit sich selbst oder auch miteinander. Relaxen an der Himmelsleiter wie unter dem Baum des Lebens in unterschiedlichen Gruppierungen.
Oder: sie kommen von der Bühne sich gleichsam abwendend, betend und klagend an die Mauer. Wie bei gotischen Kirchenbauten kippen die frommen oder den Anschein von Ergriffensein machenden Bilder immer wieder in ihr fratzenhaftes Gegenteil.
Etwa wenn gegen Ende eine schon lange mit einem Küchenmesser hantierende Frau sich dann tatsächlich die Pulsadern aufzuschneiden scheint. Und im nächsten Moment wischt sie sich fein säuberlich das Theaterblut vom Arm und vom Boden.
Ein "Tanz- und Musiktheater" nennt Schloemer sein neues Stück. Offensichtlich knüpft er an dabei an seinen "guerra d'amore" nach Monteverdi-Madrigalen einst in Basel. Aber gegenüber dem hoch gelobten aber vielfach nur dekorativen Stück mit großem Ensemble damals, bietet dieses Kammertheater doch weit mehr an Intensität und Dichte - obwohl auch von diesen 90 Minuten viel skizzenhaft und Rankenwerk bleibt.
Seine stärksten Wirkungen hat les larmes du ciel denn auch im Verbund mit der von Attilio Cremonesi ausgesuchten und mit dem Collegium Musicum Köln gespielten Musik von Gesualdo bis Scarlatti. Großartig die beiden Sängerinnen Marisa Martins und Anna Radziejewska, Mezzosopran. Fabelhaft fügen sie sich ein ins kleine Tanzensemble.
Im Unterschied zum Uraufführungsort Luzern ist der. Beifall im Haus des Berliner Kooperationspartners Hebbeltheater aber eher verhalten. So sehr schätzt man im preußischen Flachland religiöse Versenkungen und Aufgipfelungen, wie sehr ihnen hier auch immer wieder die Spitze gebrochen wird, nicht.
Dennoch gehört les larmes du ciel gewiss zu den stärkeren Stücken Schloemers, auch wenn eigentliche Tänze nur wie Farbtupfer zwischen die gleichsam Tanz-Skulpturen gestreut und die Gruppen-Tänze nicht sonderlich präzis sind.