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Die Welt, 31 August 1999

Schmerzensreiche Sehnsucht ohne Pomp und Pathos
Joachim Schloemer inszeniert Monteverdis "Liebeskrieg" mit der Schola Cantorum Basiliensis unter dem Dirigenten René Jacobs

"Zwei schöne Augen waren die Waffen,/ durch die meine betrübte Seele/ durchbohrt darniederlag . . ." Schmerzvolle Liebe, besungen mit Kampf- und Kriegsmetaphorik - das zentrale Thema in Claudio Monteverdis 7. und 8. Madrigalbuch. Diese uns fremde barocke Formenwelt hat Basels Tanzchef Joachim Schloemer überraschend sensibel heutig auf die Bühne gebracht. In einer Koproduktion seines Hauses mit den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik (Tiroler Landestheater): "La guerra d'amore" (Der Liebeskrieg). Mit exquisiten Sängern und der Schola Cantorum Basiliensis, dirigiert vom Festwochen-Leiter René Jacobs, gelang ein wunderbar fein jubilierendes musikalisches Liebesfest.
Kein plakatives Illustrieren der Texte (von Marino, Petrarca, Rinuccini, Tasso). Kein dekorativer, vor allem nicht historisch miterzählender Opernpomp. Das Konzept von Jacobs, der auch die Madrigal-Auswahl traf, und Schloemer fällt unmittelbar ins Auge, ins Ohr: Schlankheit, Unforciertheit des Gesangs und der Geste, eine auf Klarheit zustrebende Nüchternheit der Szene. Bühnenbildner Frank Leimbach entwarf eine Piazza - inspiriert von der "piazza", dem historischen Spielort für groß inszeniertes barockes Musiktheater. Und wie zufällige Fußgänger schlendern die Sänger herein. Da sie sich als (fast) ganz alltägliche Menschen bewegen, wird in diesen Amor-Anflehungen, Zephir-Beschwörungen, Nymphen-Wehklagen, diesem fortdauernden hoch stilisierten Schmerzschwelgen jede Süße, jedes Pathos vermieden. Und das sogar in dem von Monteverdi szenisch gedachten tödlichen "Kampf zwischen Tancredi und Clorinda". Schloemer erlaubt sich gerade ein mitleidendes Halten Tancredis (Tenor Kobie van Rensburg) der hinsinkenden Sterbenden, ein Rinnsal Theaterblut auf ihrem Hals.
Regisseur und Choreograf halten sich zurück, um dem filigran feinen Klang der alten Instrumente (Archiliuto, Lirone, Theorbe, Violone) Raum zu geben. Und so, wie die Sänger von Jacobs geführt wurden, erzählen schon die Stimmen allein von all diesen Herzensregungen der Liebe, von Innigkeit, Hoffnung, Sehnsucht und immer wieder Vergeblichkeit. Jacobs hat im Sinne der Inszenierung konsequent auf Ensemblequalität gesetzt. Jeder der neun Stimmen ist von hohem Niveau, aber keine singt sich in den Vordergrund. Wenn Mezzo Marisa Martins besonders auffällt, dann, weil sie nicht nur stimmlich ihren Amor, ihre Clorinda dramatisch modelliert. In Claudio Achillinis "Liebesbrief" entsteht zwischen ihr und dem Tänzer Jean-Guillaume Weis über kleine flüchtige Berührungen, ein Fallen und Halten, geradezu ein zartes Liebesspiel, dass diese so hinreißend gesungene "lettera amorosa" wunderbar sinnlich ergänzt.
Mit der ihm eigenen Feinnervigkeit hat Schloemer immer wieder choreografische Sequenzen in die Madrigale und die "Scherzi Musicali" eingewebt. Unaufdringlich, fast beiläufig mischen sich die 20 Tänzer - ebenfalls in individualistisch bunt gewürfelter Alltagskleidung (Gesine Völlm) - unter die Sänger mit leicht hinskizzierten Duos und ihren dezent barockig gekurvten ports de bras gleichsam die zwischen einst und jetzt tanzenden Schatten. Oder Tänzerinnen verführen in Rinuccinis "Zefiro"-Sonett die beiden Tenöre Kobie van Rensburg und John Bowen mit frühlingshaft hingewehtem weiblichem Tanz.
Man könnte Schloemer den Vorwurf machen, dass er den "inneren Liebeskampf" choreografisch so gut wie nicht erfasst hat. Der Zeitlupenringkampf zwischen Frauen und Männern bleibt tänzerische Anekdote. Aber Schloemers Sprache ist in ihrer Zurückhaltung, ihrer spielerischen Luftigkeit, in ihrem lyrischen Duktus - aufs Ganze gesehen - genau die richtige "bewegte Farbe" für diesen Madrigal-Reigen. Viele Versuche, Tänzer und Sänger als "Kontakt-Ensemble" zu inszenieren, sind schon misslungen. Hier vereinen sich Klang und bewegtes Spiel zu einem harmonischen Fluss, der den Zuschauer in wohltemperierter Spannung 150 Minuten trägt. Und heiter macht.

Malve Gradinger