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Ballettanz, 10/2002

Opfer des Körperkults
"Fit For Life" in Köln

Tanztheater als Beichte: eine Frau gesteht ihre Sex- und Magersucht, eine andere bekennt sich zum Fettabsaugen, und ein Mann outet sich als krankhafter Pillenschlucker. Gemeinsam beten sie, bis sie selbst dran glauben: "Ich bin gesund. Ich bin reich. Ich bin liebevoll und herzlich. Ich habe eine tolle Beziehung. Ich habe den besten Beruf." Sie alle sind Opfer des Körperkults unserer Gesellschaft. Sie alle sind "Fit For Life", von Joachim Schloemer versammelt in der Halle Kalk des Kölner Schauspiels. Der Titel, entlehnt von einem Rohkost-Bestseller, ist natürlich blanke Ironie. Schloemer hat nach seinem Abschied von Basel mit Köln angebandelt und hier mit acht Schauspielern und drei Tänzern seiner Kompanie eine Satire auf den Leistungswahn produziert. Am Rhein gibt Schloemer sich ungewohnt: Wie bei "Senza fine", das er ebenfalls ins Köln zeigte, hat er seine spröde, intellektuelle Magie mit intelligentem Manegenzauber eingetauscht. Schloemer ist populärer geworden.

Dabei geht es um weit mehr als Muckibuden-Mentalität. Hochkonzentriert hockt die in Bürokleidung uniformierte Elf in einem Becken und reckt die Arme zum Himmel. Ihre Kirche ist ein Swimmingpool, mit Halfpipe und hochklappbaren Trampolin (Bühne: Jens Kilian). Bis die Mannschaft zur Hochform aufläuft, dauert es. Manches ist banal wie ein Blondinenwitz, einige Szenen fasern aus. Wenn Schloemer aber einzelne Schicksale in Großaufnahme zeigt, wird es brillant. Toll, wie eine Tänzerin von ihrem Wahn, von hohen Gebäuden zu springen, erzählt, wie sich der souveräne Mann zum hemmungslosen Pillenschlucker verwandelt, die Sex- und Magersüchtige zwischen Koketterie und Verzweiflung plaudert. Schloemer wandelt zwischen Groteske und Comedy.

Er arbeitet nicht mit der sprachlichen Brutalität einer Elfriede Jelinek. Und doch hat sein "Sportstück" durchaus ein ernsthaftes Anliegen. Der kollektive Gesundheitswahn wird ad absurdum geführt: militärischer Drill, Sekten-Verhalten mit hirnlosem Nachplappern und religiöser Fanatismus samt Selbstgeißelungsszene. Nach einer pastoralen Einflüsterung an ein "krankhaftes Schaf" brutzelt der Leib symbolisch als Steak in der Pfanne. All dies ist sauber (de-) montiert, mit viel Gespür für den Wechsel von Allegro und Andante. Berührend, wenn die Sportskanonen im abgedunkelten Licht herumirren und Gesprächsfetzen ("Du hast so schöne Unterarme") auf ihre Kassettenrekorder sprechen - Seelenkrüppel in Astral-Körpern. Jemand wirft zynisch Nietzsches "Seele ist nur ein Wort für ein Etwas am Leib" in den Raum.

Allein der Tanz kommt im Fitness-Studio eindeutig zu kurz. Schöne Körperbilder, menschliche Turngeräte, eine rhythmische Schrittchoreografie zu Schwitters Ursonate mit ihrer dadaistischen Laut-Akrobatik. Und dann das aufregende Schlussbild: Als lebendiges Denkmal rennt Vincent Crowley auf dem Trampolin im Scheinwerferlicht - ein armer Held.

Bettina Trouwborst