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News, 15 May 2001

Absurdistan konkret
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Was Sie immer schon über den legendären französischen Theatermann Antonin Artaud (1896-1948) zu wissen glaubten, vergessen Sie es. Auf der Stelle. Und suchen Sie das Theaterlabor des Burgtheaters im Kasino am Schwarzenbergplatz auf. Dort hatte vorigen Samstag "Die Nervenvvaage", ein Stück zu Artaud, montiert vom Burgtheaterdramaturgen Stephan Müller und dem Tanztheatermann Joachim Schloemer, Premiere. §Eins, zwei, drei, vier", wie in einer Turnstunde unten in der Kellersporthalle betreiben elf Menschen Körperübungen. Sieben Schauspieler (Johanna Eiworth, Adrian Furrer, Sabine Haupt, Daniel Jesch, Michael Masula, Hanspeter Müller, Edmund Telgenkämper), die Herren Karl Szimak und Martin Woldan, die im Laufe der kurzweiligen 90-minütigen Aufführung akrobatische Ringkämpfe auf der Tribünenstiege liefern, sowie die Damen Vera Blaha und Claudia Durstberger, die später tragende Rollen (Mikrofonständer etc.) übernehmen. Die Körperlichkeit dieser Akteure ist unwahrscheinlich, und sie führt sinnfällig vor Augen, was Artaud mit seinem Postulat eines ?Theaters der Grausamkeit" gemeint hat.
Körpersprache mit all der Absurdität und Witzigkeit eines Buster-Keaton-Blicks übertrifft jegliche verbalisierte Kommunikation. Artaud-Zitate ("Ich richte mich nicht in der Verzweiflung ein"), Wortfetzen seines Psychiaters über Normalität, Anpassung, über einen Menschen zu urteilen, enthüllen den ganz normalen Wahnsinn einer tragischen Künstlerexistenz. Leichtigkeit unterminiert Pathos, die Absurdität allen Seins versammelt sich da auf einer Bühne. Großartig! Phänomenal!

Reinhold Reiterer