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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21 March 2009

Himmelfahrt ist keine Erlösung
Pilgerreise zu Schumann: Joachim Schloemer inszeniert "Das Paradies und die Peri" in Mannheim und begeistert das Publikum.

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Nicht minder verständlich ist die Faszination des Imaginativen, die auch den Regisseur Joachim Schloemer gepackt hat, der nun im Mannheimer Nationaltheater die wahrscheinlich erste Inszenierung unternahm. Und der da, wo Handlung und Personen nur rudimentär vorhanden sind, auf die synkretistische Schichtenbildung setzte - beginnend mit einem immanent musikalischen Motto: "Von fremden Ländern und Menschen" aus den "Kinderszenen" am Flügel auf der Bühne. Und so wie die Figuren nur Metaphern für ewige Suche und Reise sind, so erscheinen sie realiter als auch video-virtuell in kubistisch verkanteter Perspektive und quasi hellem Negativ in Analogie zu den "Aura"-Experimenten etwa Strindbergs. Dieser Dopplung entspricht die der Peri, zu der ein akrobatischer "Engel" mit weißer Schwinge herabschwebt, der immer wieder die Szene belebt, schließlich gen Himmel fährt, gefolgt von der Peri, die ansonsten im Frack eher irdisch bürgerlich dasteht, eine konzertant Leidende.

Oratorienstarre hat Schloemer vermieden und durch Simultan-Aktionen des Tanztheaters ersetzt. Tritt der finstere Tyrann auf, trägt der Chor plötzlich Rot, und eine große Blutlache wird zum Todesort des jungen Helden, den der Wüterich nur mit einem Pfeil berührt: "Action" ist hier überflüssig. Pfeile tauchen häufig auf, analog zum Engelsflügel, lenken die Assoziationen wiederum in Richtung "Parsifal". Ähnlich leitmotivisch ist das Blut, wie schon in Schloemers Hannoveraner "Tristan": Der von der Pest Befallene rast in einem Glaskäfig, ge- und befangen in der Seuche. Raffiniert ist das Spiel von Innen und Außen, Perspektiven überlagern sich, die Figuren gehen ineinander über. Nie wird "reale" Handlung simuliert, Bewegungen und Bilder schaffen Äquivalente zu den Text-Musik-Situationen, nie naturalistisch konkret, doch auch nie abstrakt beziehungslos: Die lyrischen Wandlungen von Schumanns Musik finden sich auf der Bühne. Und alle Gefahren pseudosakralen Kitsches sind gebannt.

Die Herrlichkeiten der "Peri"-Partitur bedürfen der visuellen Entsprechung; doch eine kanonische Aufführungstradition gibt es, Gott sei Dank, nicht. Unter Friedemann Layer agieren Orchester und Chor so inteniv wie subtil; vor allem die Mär von Schumanns mäßiger Instrumentationskunst wurde zwingend widerlegt. [...] eine imponierende Kollektivleistung. Wem an Schumann liegt, der sollte sich auf diese Pilgerreise nach Mannheim begeben.

Gerhard R. Kock